Des Ensemble Stupor Mundi musikalische Gaumenfreuden

04.08.2012 // Dirk Sommer
b_850_0_16777215_10_images_content_downloads_12-08-04_ensemble_stupor_mundi_stuttgarter-nachrichten-logo.png

Joe Bauer in der Stadt
Vincent und die Batzenwurst


vom 24.07.2012

Stuttgart - Heute gilt es von einem Ausflug des Kochs Vincent Klink zu berichten. Der Tatort ist in einer Kleinstadt mit elftausend Seelen angesiedelt, in Lorch im Remstal, am Rand des Ostalbkreises. Ihr Wahrzeichen ist ein Benediktinerkloster, Anfang des 12. Jahrhunderts vom Stauferherzog Friedrich I. gestiftet. Das benachbarte Schwäbisch Gmünd hatte gerade seinen 850. Geburtstag mit einem Kostümspektakel zu Ehren des schwäbischen Adelsgeschlechts der Staufer gefeiert, da kam der Koch, um die Geschichte seiner Heimat mit Zutaten aus seiner Lebenskünstlerküche zu bereichern.

Ein seltsamer Mensch, der Klink. Als Fernsehkoch ist er eine Art Popstar geworden, obwohl er Dinge tut, die jede Popstarkarriere rasch beenden würden. Vincent Klink spielt Jazz – wenn er nicht gerade in seinem separierten Küchenkabuff sitzt und Geschichten schreibt, sobald das Essen in seinem Sterne-Restaurant Wielandshöhe aufgetischt ist. Nachts schläft er wohl ein paar Minuten, um Atem zu schöpfen für das Blasen der Basstrompete.

Vincent I. ist mir nicht ganz unbekannt, dennoch ist es mir ein Rätsel, nach welcher Uhr er lebt. Es muss eine Sonnenuhr sein, seine Miene ist selten düster. Manchmal habe ich den Verdacht, er beschäftige Doubles. Andererseits scheint es mir auch für einen guten Schauspieler unmöglich, diesen Charakterkopf mit seiner charismatischen Bühnenpräsenz glaubwürdig darzustellen.

Es war Sonntag, als Vincent Klink mit einer Handvoll Musikanten und einem Bus voller Männer und Frauen aus seinem Gasthaus die Kirche des ehemaligen Hausklosters der Staufer besetzte. Er erzählte den 400 Gästen, man könne ihn für einen „mittelalterlichen Typen“ halten, und dieser Satz birgt eine Wahrheit, weil man im Lauf des Abends erfuhr, warum sich die Bilder des Lebens über Jahrhunderte hinweg gleichen und wiederholen.

Das Mittelalter ist uns näher, als man denkt. Kein Geheimnis, warum es die Reformer wider besseres Wissen zu einer finsteren Epoche erklärten. Die Apostel des Fortschritts dulden keine andere Sicht auf die Vergangenheit.

Vincent I. moderierte ein Gesprächskonzert mit Musikerfreunden. Er erzählte wie ein Minnesänger von den Staufern und vom Kochen, besser gesagt: von der Stauferküche. Seine Band spielte dazu mittelalter­iche Musik „in zeitgenössischer Interpretation“. Der Abend nannte sich als Hommage an den Geist des Kaisers Friedrich II. „Stupor Mundi – das Staunen der Welt“.

Die Betonung liegt auf „Welt“. Die Globalisierung ist keine Erfindung unserer Zeit (auch wenn die Global Player uns diesen Eindruck vortäuschen). Wenn Klink in der Nouvelle Cuisine ähnliche Eiweiß-Spuren wie in den Soßen des Mittelalters entdeckt, relativieren sich Alt und Neu. Moden und Hypes erscheinen lächerlich. Die Küche des Kaisers im Heiligen Römischen Reich war schon im 13. Jahrhundert so reichlich mit arabischen, afrikanischen, italienischen Elementen bestückt, dass ihr heute nur ein internationales Ensemble in einem Tafelkonzert gerecht werden kann.

Wenn Musik sich innerhalb weniger Stunden betörend durch ein Jahrtausend zieht und bewegende Bilder erzeugt, kommt der Gedanke: Nutzt die Kirchen öfter für Konzerte. Im Kloster schlug der italienische Tamburin-Mann Carlo Rizzo sein kleines Instrument, als wäre es ein ausgewachsenes Schlagzeug; der Stuttgarter Pianist Patrick Bebelaar, der sardische Saxophonist Gavino Murgia, der französische Tubaspieler Michel Godard und der mutmaßliche Staufer-Nachfolger Vincent Klink an der Basstrompete spielten mittelalterliche Themen mit einer zeitgenössischen Leichtigkeit, wie sie unter guten Freunden aus Spaß an gemeinsamer Arbeit entsteht.

Ein Beispiel dafür ist auch der Freiburger Bassist Dieter Ilg; als Solist bearbeitete er alte Muster mit modernen Sounds. Verblüffend das Gesangs-Duett von Carlo Rizzo und Gavino Murgia: Obwohl unverstärkt, klingt ihre Stimmakrobatik wie aus einem Elektropop-Song unserer Tage.

Das Publikum, von überall angereist, war begeistert . Das ist der Reiz der Zeitlosigkeit beim spielerischen Umgang mit Geschichte, bei der künstlerischen Verbeugung vor Menschen, die vor uns da waren, bei der Auseinandersetzung mit Orten, wo die Vorfahren begraben liegen, wie die Staufer im Kloster Lorch. Wo es dunkle Flecken gibt, die Nazis das Kloster besetzten, um die Staufer zu verherrlichen.

Eine Kolumne ist zu kurz, um einer langen Geschichte gerecht zu werden. Sie ist kürzer als die menschliche Erwartungsschlange vor Vincent Klinks Büfett im Klostergarten. Die Schwäbisch Gmünder Batzenwurst, als Publikumsköder gebraten, hat zwei Enden. Die Musik keine Grenzen.

Joe Bauer


Michel Godard hier einmal mit seiner Tuba, die er immer wieder gegen den E-Bass oder das mittelalterliche Serpent tauschte
Michel Godard hier einmal mit seiner Tuba, die er immer wieder gegen den E-Bass oder das mittelalterliche Serpent tauschte

 

  • De-Phazz' All Inclusive in DSD128 und 192/24

    Ich habe an dieser Stelle über die Aufnahme des De-Phazz Jazz Quartets plus Joo Kraus berichtet, über das Mastering und den Schnitt der Lackfolie. Da ist es nur fair, nach dem Erscheinen der Platte einen Titel des Albums zum kostenlosen Download anzubieten. Hier sind gleich zwei Files: eines mit 192 Kilohertz und 24 Bit und das zweite in Doppel-DSD. Wie im Bericht über die Messe in Warschau zu lesen war, haben meine Gattin und ich…
    20.11.2023
  • DePhazz in DSD256 und 384/32

    Kein Wunder, wenn Ihnen das Cover bekannt vorkommt. Vor sieben Jahren hatte ich über die Entstehung der Dephazz-LP Garage Pompeuse berichtet und drei Files zum kostenlosen Download angeboten. Inzwischen hat sich in Sachen digitaler Aufnahme- und Wiedergabetechnik einiges getan. Deshalb gibt es den Titel „Trashbox“ jetzt in DSD256 und PCM 384/32. Wie schon im Artikel über den Cen.Grand erwähnt, habe ich mich wieder mit dem Mastertape von Garage Pompeuse beschäftigt, da ich eine DSD-Version für…
    29.07.2022
  • Wie wird das Analoge digital – 2.0

    Das Thema beschäftigt mich und die Kollegen nun schon eine Weile. Vor etwas mehr als zwei Jahren gab es dazu zwei Downloads – allerdings nur im DSD-Format. Dann wurden diese Dateien zu allem Überfluss auch noch auf dem Server beschädigt. Da von Leserseite aber immer mal wieder Nachfragen dazu kommen, gibt es hier neue Files und diesmal auch in PCM. Die Frage in der Überschrift treibt uns aber schon viel länger um: Um zu klären,…
    25.03.2022
  • sommelier du son, NativeDSD und hifistatemtent.net

    Seit einigen Wochen sind die ersten beiden Alben unseres Plattenlabels sommelier du son im Download-Portal NativeDSD erhältlich. Heute soll ein weiteres hinzukommen und in Kürze ein viertes. Hifistatement-Leser können die Aufnahmen zu vergünstigten Konditionen erwerben und einen kostenlosen DSD-Download gibt es auch noch. Vor mehr als fünf Jahren habe ich an dieser Stelle über die Zukunft des DSD-Formats spekuliert und etwa zwölf Monate später noch einmal eine Bestandsaufnahme in Sachen Ein-Bit-Formats gemacht. Damals gab es…
    08.11.2018
  • Wie wird das Analoge digital?

    Natürlich mithilfe eines Analog/Digital-Wandlers. Welche klanglichen Unterschiede ADCs machen können, haben wir anhand dreier ausgesuchter Exemplare während der diesjährigen Norddeutschen Hifi-Tage und der High End in unserem jeweiligen Raum demonstriert. Für alle die nicht dabei sein konnten, gibt es hier drei Musik-Dateien zum Download. Auf den Messen konnte man – wegen der Nahfeld-Aufstellung der aktiven Lautsprecher in einer kurzen Reihe hintereinander – vor einer Digitalen Audio Workstation Platz nehmen und per Mausklick drei Versionen einen…
    10.08.2018
  • PCM 384/32, DSD64, DSD128 und DSD 256: A Trace Of Grace

    Moderne Wandler können immer höhere Abtastraten verarbeiten. Aber wer verfügt schon über nativ erzeugte Files von selben Master, um etwa DSD128 mit DSD256 vergleichen zu können? Eher aus privatem Interesse habe ich den Playback Designs Pinot getestet und biete ich Ihnen hier vier damit erzeugte hochaufgelöste Files zum kostenlosen Download Falls Ihnen der in der Überschrift genannte Titel bekannt vorkommen sollte, mag das daran liegen, dass wir Ihnen schon zur Feier unserer Kooperation mit Positive…
    16.03.2018

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.