Mit bekannten Komponenten kann ich S1 und Aiva immer noch vergleichen und deshalb höre ich mich erst einmal ein wenig auf das Duo ein – und bin gleich doppelt überrascht. Zum einen davon, welch großartiges Musikerlebnis selbst mit Daten von einem Mobiltelefon möglich ist: Der Lotoo PAW S1 und der SendyAudio Aiva bringen einem die Musik ungeheuer nahe. Dabei ist das Klangbild sehr offen, detailreich, dynamisch und völlig frei von tonalen Auffälligkeiten. Die Wiedergabe besitzt eine beeindruckende Selbstverständlichkeit. Zum anderen bin ich nicht gewohnt, so lange unter einem Magnetostaten mit seinen prinzipbedingt nicht gerade wenigen und leichten Magneten so entspannt auszuharren. Während meiner Netz-Recherchen zu Lotoo und SendyAudio habe ich einfach nur die Musik genossen und das Tragen des Kopfhörer komplett vergessen. Bleibt noch nachzutragen, dass ich beim S1 keines der Klang-Presets aktiviert hatte und das iPhone 11 die teils hochaufgelösten Dateien über die Onkyo-HF-Player-App an die Lightning-Buchse ausgegeben hat. Beim S1 dient eine USB-C-Buchse als Eingang, ein kurzes USB-C-auf-USB-C-Kabel gehört zum Lieferumfang, ein USB-A-auf-C-Adapter ebenfalls. Für iPhone-Nutzer wird ein Lighting-auf-USB-C-Kabel zum Preis von 40 Euro angeboten.
Nach den erwähnten Funktionstests und ein wenig Hintergrundbeschallung ließ mich Bobo Stensons War Orphans aufhorchen. Spätestens beim zweiten Stück des Trio-Albums stellte ich sämtliche parallelen Tätigkeiten ein und konzentrierte mich ganz auf „Natt“: Das einige Minuten lange Bass-Intro verwöhnte mit holzigen Klängen, Griffbrettgeräuschen, einer dynamischen Lebendigkeit und der wunderbar nachvollziehbaren Tonentfaltung im – imaginären – Raum. Als dann sanft das Schlagzeug einsetzte, glaubte man das Holz der Sticks auf den Becken auftreffen zu sehen. Auch der Flügel wurde völlig frei von technischen Artefakten aufgezeichnet und wird auch so reproduziert. Wenn man mit geschlossen Augen Musik genießt, möchte man fast nicht glauben, dass die Daten von einem schnöden Mobiltelefon kommen und der Rest der „Kette“ für unter 900 Euro zu haben ist.
Auch wenn ich nicht Hifistatements Spezialist für mobile Musikwiedergabe bin, finde ich doch zwei Wandler/Kopfhörerverstärker-Kombinationen in meinem Fundus, um die Qualität des S1 einzuordnen. Der Audioquest Dragonfly Cobalt beschert Van Morrisons „Whatever Happened To PJ Proby?“ einen Hauch mehr Wärme, raubt dem Song dadurch aber auch ein wenig von seinem Drive, den der S1 mehr in den Fokus rückt. Bei Gianluigi Trovesis „Herbcap“ vom Album Dedalo nimmt mich der Lotoo mit seiner Offenheit und Durchzeichnung für sich ein. Da er dennoch auch in lauteren und dichteren Passagen nie nervös oder auch nur ansatzweise zu hell klingt, vermisse ich das rundere, minimal fülligere Timbre des Cobalt nicht. Wer sich – deutlich – mehr Tieftonenergie wünscht, als der S1 im linearen Betrieb zu bieten hat, kann es ja mal mit dem Preset „Full Bass“ probieren. Mit ist es zu viel des Guten. Da der Lotoo bisher so eine gute Figur macht, darf er sich nun auch noch mit Chord Electronics' MOJO messen, auch wenn sich der in einer höheren Preisklasse tummelt und deutlich mehr Volumen beansprucht: Der S1 kommt dem Chord verboten nahe. Es ist nur eine Spur Souveränität und minimal mehr Offenheit, die der MOJO dem S1 voraus hat – zumindest wenn der SendyAudio die Signale der beiden wandelt. Mir fehlt beim Lotoo/Aiva-Duo nicht das geringste!
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