Der Vorteil ist, dass sanftere Filter weniger Phasenprobleme verursachen als steilflankige. Ein weiterer Vorzug dieser Tonabnehmerkonstruktion ist die geringe bewegte Masse. Durch die Rillenauslenkung muss lediglich der Abtastdiamant samt Nadelträger in seinem Dämpfungsgummi bewegt werden – und nicht wie bei den üblichen Tonabnehmern zusätzlich noch ein Magnet, ein Eisenplättchen oder zwei Spulen. Und das dürfte der Dynamik und Präzision der Wiedergabe zugute kommen. Ein weiterer Pluspunkt des Strain Gauge ist es, dass die Nadeleinschübe leicht vom Besitzer ausgetauscht werden können. Dazu ist lediglich eine Inbusschraube zu lösen, und schon kann der Einschub entfernt werden. Bei frühen Versionen des Strain Gauge wurde dieser nur durch Magnetkraft in seiner Position gehalten und nicht durch eine Schraube gesichert. Bei aktuellen Modellen hilft der Magnet, den Nadeleinschub in die richtige Position zu ziehen. Der aufwendigste Einschub mit Rubinnadelträger und einem Diamanten mit Contact-Line-Schliff mit „Optimized Contour“ steht mit zehn Prozent des System-Preises in der amerikanischen Preisliste. Bei uns beträgt der Preis für den Tonabnehmer, das Versorgungsteil SG-200 und einen weiteren Nadeleinschub, diesmal mit einem Contact-Line-Diamanten ebenfalls auf einem Rubinnadelträger, 12750 Euro. Eine wahrlich stolze Summe, die sich aber schnell relativiert, wenn man in Betracht zieht, dass man beim Strain Gauge keinen Entzerrervorverstärker benötigt, eine Ersatznadel im Preis enthalten ist und dieser für weitere Nadeleinschübe ausgesprochen moderat ist – gerade im Vergleich zu dem, was ansonsten bei High-End-Abtastern für einen neuen Diamanten oder im Schadensfall für einen Nadelträger mit Diamant verlangt wird. Übrigens bietet Soundsmith auch Nadelschliffe für Schellacks und für alte Mono-Scheiben an. Das Strain Gauge erfordert zwar eine – wie man im Ruhrgebiet sagen würde: – happige Investition, die sich aber im Laufe der Jahre bezahlt macht, selbst wenn man sich irgendwann einmal für 78-er Scheiben begeistern sollte.
Das Strain-Gauge-Set mit dem Versorgungsteil SG-200 ist das günstigste im Angebot von Soundsmith, unterscheidet sich aber nicht von den beiden kostspieligeren Modellen, wenn es um die Signalerzeugung des Tonabnehmers geht. Das SG-210 bietet einen zweiten Ausgang mit höherem, per Potentiometer auf der Frontseite regelbaren Pegel zur direkten Ansteuerung von Endstufen, das SG-230 zusätzlich eine komplette unsymmetrische Vorstufe mit vier Line-Eingängen. Alle Versorgungsteile besitzen zwei Schalter für das Strain Gauge. Mit dem einen lassen sich die Gleichspannungen für das System bei längeren Spielpausen abschalten, mit dem anderen eine Auto-Mute-Funktion aktivieren. Wenn etwa der Tonarm angehoben wird und das System kein Signal mehr abgibt, werden die Ausgänge des SG-200 stumm geschaltet. Zur Stromversorgung des SG-200 liefert Soundsmith zwei lineare, also rein analog arbeitende Steckernetzteile mit. Für die Versorgung des Tonabnehmers mit Energie reichen die üblichen Tonarmkabel aus. Dass das Strain Gauge die benötigten beiden Spannungen erhält, dokumentieren übrigens zwei blaue LED an der Frontseite des Systems.
Wenn der SG-200 in meiner Kette einen Platz im Rack bekommen und kein unnötig langes Tonarmkabel zum Einsatz kommen soll, muss der Tonabnehmer in einem Arm montiert werden, der die Position für lange Tonarme auf dem LaGrange einnehmen kann. Ich wählte für einen ersten Versuch den AMG 12JT Turbo, der nicht nur hervorragend klingt, sondern aufgrund seiner durchdachten Konstruktion und extrem hochwertigen Verarbeitung schon beim Aufbau jede Menge Spaß bereitet. Bereits nach kurzer Zeit spielte das fabrikneue Strain Gauge sehr ansprechend: Ich wüsste nicht, was da nach längerer Einspielzeit in Sachen Dynamik noch groß passiert sollte. Auch bei der Raumdarstellung bleiben so gut wie keine Wünsche offen. Tonal agiert das Strain Gauge ungemein ausgewogen und reagiert auf Knackser in älteren Scheiben nicht so sensibel wie manche Moving Coils, womit Platten im schlechterem Zustand nur wenig Spaß machen. Ich freute mich also schon auf eine längere Einspielzeit. In dieser hörte ich das Soundsmith auch über die Børresen 01 und die Audiaz Cadenza. Da beide Schallwandler-Paare keine Auffälligkeiten im Frequenzgang zeigen und ungemein stimmig spielten, wurde die Einspielzeit nicht nur wegen der Wiederentdeckung so einiger analoger Schätze nach einer viel zu langen, fast ausschließlich digitalen Phase zum Genuss. Auch klanglich war ich rundum zufrieden. Doch dann machte ich einen schwerwiegenden Fehler.
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