Meine ersten Moving-Coil-Tonabnehmer waren EMTs, die aus der Tondose ausgebaut wurden. Dann folgte das ein oder andere Roksan Shiraz, eine von Touraj Moghaddam veredelte EMT-Variante. Inzwischen gründete er Vertere und entwickelt und produziert Plattenspieler, Tonarme, Systeme und Phonostufen. Hier geht es um das Topmodell der Tonabnehmer.
Das Roksan Shiraz bestand aus einem klassischen EMT-Generator, der mit drei Edelstahlschrauben in einem sehr reduzierten Aluminiumgehäuse mit wenig parallelen Flächen fixiert war, um es weniger anfällig für Resonanzen zu machen. Wenn man die Konstruktion noch vor Augen hat, fühlt man sich beim Vertere XtraX sofort daran erinnert: Auf jeder Seite des weitgehend geschlossenen, im Rot mit leichtem Violett-Anklang – oder vielleicht besser: deep purple – eloxierten Gehäuse entdeckt man zwei dieser charakteristischen Edelstahl-Madenschrauben. Deren Funktion ist hier zwar nicht zu erkennen, aber während eines kurzen Zoom-Gesprächs bestätigte Touraj Moghaddam meine Vermutung: Auch hier fixieren die kleinen Schrauben den Generator im aus dem Vollen gefrästen Aluminiumgehäuse. Allerdings stammt der „Motor“ des Tonabnehmers diesmal nicht aus Deutschland, sondern aus Japan, und zwar von der Excel Sound Cooperation, die unter anderem auch die Hana-Tonabnehmer herstellt. Der nackte Abtastdiamant habe einen „Micro-Elliptical“-Schliff, denn Fine-Line- oder Shiabata-Diamanten brächten im Vergleich zum mikro-elliptischen keinerlei Vorteil, wenn es um die Laufgeräusche in der Rille gehe, erläutert der Entwickler. Hierbei komme es vor allem auf die Qualität der Politur des Diamanten ab, und in dieser Disziplin sei Excel einfach führend. Auch beim Material für den Nadelträger setzt Vertere nicht auf Exotisches: Zwei ineinander gesteckte Aluminiumröhrchen unterschiedlicher Legierungen und Durchmesser bedämpften sich beim XtraX nach dem Prinzip des Constraint Layer Dampings gegenseitig. Bei Vertere heißt das „telescopic cantilever“.
Besondere Aufmerksamkeit hat Touraj Moghaddam auch der Oberseite des Gehäuses geschenkt: Bei üblichen Tonarmen stehen nur die beiden Ringe um die Befestigungslöcher mit dem Headshell in Kontakt, für Vertere-Arme ist eine Justage-Hilfe integriert. Der Magnet sei ein Sobarium-Cobalt-Typ. Um in Kombination damit die gewünschte recht kräftige Ausgangsspannung von 0,45 Millivolt bei einer Schnelle von fünf Zentimetern pro Sekunde zu erreichen, seien mehrere Schichten recht dünnen Drahts auf den kreuzförmigen Spulenträger aus Eisen gewickelt worden. Diese Form des Spulenträgers ziehe er einem quadratischen vor, da bei einem Kreuz die Interaktion der beiden Kanäle geringer sei. Der Innenwiderstand der Spule beträgt 40 Ohm, als Last werden 850 bis 1.500 Ohm empfohlen – also deutlich mehr als nach der bewährten Faustformel, die das zehn- bis zwanzigfache des Innenwiderstands empfiehlt. Touraj Moghaddam erklärt seinen Vorschlag damit, dass der Frequenzgang des XtraX so ausgewogen sei, dass es keiner Bedämpfung irgendeines Anstiegs im Präsens- oder Hochtonbereich bedürfe. Da sei es einfach nicht nötig, einen auch noch so kleinen Teil der Ausgangsspannung zugunsten der Linearität zu opfern. Mit den Widerstandssteckern von Einsteins The Turntable's Choice sind maximal 500 Ohm zu erreichen. Da ich in den letzten Jahrzehnten nie versucht war, einen höheren Wert zu verwenden, müsste ich mich beim Hersteller vergewissern, ob die Eingangsimpedanz, der symmetrischen Phonostufe, wie ich glaube, ohne Abschlussstecker wirklich bei einem Kiloohm liegt. Aber ich bin viel zu neugierig, um das vom deutschen Vertrieb Beat Audio bereits eingespielte Vertere nicht umgehend am der Phonostufe mit dem 500-Ohm-Stecker zu hören.
Da das XtraX über elf Gramm wiegt, und die Nadelnachgiebigkeit bei 12 Mikrometern pro Millinewton liegt, sollte der Arm nicht allzu schwer sein, wenn man eine Resonanzfrequenz von etwa 10 Hertz zu erreichen möchte. Mein AMG 12JT ist vom DS Audio W3 belegt und ich möchte dem XtraX nicht den SME V zumuten. Daher wähle ich für das Vertere den Thiele TA01 aus. Beim Akklimatisieren im Hörraum mit der traditionell ersten Scheibe, Art Farmer und Jim Halls Big Blues, scheint das ohrenscheinlich eine gute Wahl zu sein: Die Bass Drum kommt mit so viel Druck, dass man meint, das Fell schwingen zu sehen. Die Transienten bei den Einsätzen von Gitarre und Flügelhorn wirken recht realistisch, der Bass treibt sonor knarzend und das Vibraphon steuert perlende Klänge bei. Und damit erfüllt das XtraX schon einmal meine Erwartungen. Wer wie ich lange Jahre mit Begeisterung Roksans Darius-Lautsprecher und – wie oben erwähnt – das Shiraz gehört hat, setzt einfach voraus, dass sich ein Produkt aus den Händen von Touraj Moghaddam durch Spielfreude, rhythmische Intensität und Emotionalität auszeichnet. Nach meinen Erfahrungen mit der Darius und ihrem eher laxen Umgang mit tonaler Stimmigkeit hat mich jedoch überrascht wie ausgewogen und homogen das XtraX zu Werke geht. Der EMT-Generator hat ja einen recht ausgeprägten Charakter und daher eine Vielzahl von Fans. Da rangiert Spaß an der Musik vor extrem hoher Auflösung und Liebe zum letzten Detail.