Da stand es nun also auf meinem Rack, Cayins Prachtstück Soul 170I. Das neue integrierte Flaggschiff der Chinesen wandert für 7800 Euro über die Ladentheke und dafür erwartet der potenzielle Käufer natürlich einen entsprechenden Gegenwert. Was die reine Masse betrifft, dürfte der Verstärker mit seinem Preis von ungefähr 200 Euro pro Kilogramm wohl deutlich im grünen Bereich liegen, aber Spaß beiseite: Preisklassenunabhängig habe ich selten eine so perfekte Verarbeitung gesehen. Die leicht schimmernde Lackierung erscheint außerordentlich gleichmäßig und sauber, es gibt keine störenden scharfen Kanten, nichts klappert, wackelt oder wirkt billig. Sofort fallen mir die Porzellan-Röhrenfassungen ins Auge, oft verwenden Hersteller aus Kostengründen hier ja gerne billigere Kunststofffassungen. Rein haptisch ist der Soul 170I also schon mal ein Genuss, das gilt insbesondere auch für die massive Metallfernbedienung, deren Knöpfe klare Druckpunkte haben. Andernorts wird in dieser Preisklasse bisweilen durchaus ein billiges Plastikteil beigelegt.
Dieser positive Eindruck setzte sich im Geräteinneren übrigens nahtlos fort. Superbe Bauteilequalität wo man hinsieht, handwerklich blitzsauber ausgeführte Punkt-zu-Punkt-Verdrahtung, korrekte Anordnung der Baugruppen: Viel besser kann man es eigentlich nicht machen. Die Ausgangsübertrager entwickelt und fertigt Cayin übrigens selbst, anstatt den einfachen Weg zu gehen und diese Teile „von der Stange“ zuzukaufen, so machen Überzeugungstäter das eben! Und in diesem Zusammenhang möchte ich einen weiteren positiven Aspekt hervorheben, der in Gerätebesprechungen häufig unerwähnt bleibt: Cayin liefert ein sehr gutes, aufschlussreiches englisches Manual mit, welches diese Bezeichnung auch wirklich verdient, das keine Fragen offen lässt, das gesamte Gerät mit allen Funktionen sehr gut beschreibt, bebildert und schließlich dem korrekten Einstöpseln der Röhren gleich ein komplette Seite mit aussagekräftigen Skizzen spendiert. Oft ist man ja schon froh, wenn überhaupt eine Anleitung mitgeliefert wird, die in schöner Regelmäßigkeit mit dem offenbar schlechtesten aller verfügbaren Übersetzungstools aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt wurde. Nicht so bei Cayin: Hier gibt man sich sehr viel Mühe und das verdient einfach gesonderte Erwähnung und Anerkennung.
In Sachen Ausstattung ist der Cayin-Verstärker für alle Lebenslagen gut gerüstet: Auf der Gehäuserückseite stehen drei Line-Eingänge via Cinchstecker und ein symmetrischer XLR-Eingang zur Verfügung. Weiterhin gibt es einen Pre-In-Eingang, um den Soul 170I als reine Endstufe zu nutzen sowie einen Sub-Out-Ausgang für den Anschluss eines separaten Subwoofers zusätzlich zu den obligatorischen Lautsprecherklemmen, die wiederum jeweils für vier oder acht Ohm ausgelegt sind. Besonders interessant ist das Röhren-Ensemble. Eine alte Bekannte aus der Phonovorstufe CS-6PH lief mir hier wieder über den Weg: Die Gleichrichterröhre 22DE4, eine NOS-Type von RCA, die hier natürlich ausschließlich für die Eingangs- beziehungsweise Treiberröhren zuständig ist. Die Eingangsstufe wird von einer Doppeltriode JJ ECC83S pro Kanal gebildet, als Treiber setzt Cayin eine Tung-Sol 6SN7GTB pro Kanal ein. Diese befeuern die beiden in Push-Pull-Anordnung beschalteten Tung-Sol KT170 (Class AB), wobei sich zwischen Ultralinearmodus und Triodenmodus umschalten lässt, dann allerdings reduziert sich die Ausgangsleistung von 130 auf 75 Watt. Eine Tetrode oder Pentode ist ja nun mal keine Triode, daher handelt es sich streng genommen um eine Pseudo-Triodenschaltung, bei der eins der Gitter (in der Regel das mittlere) auf die Anode gelegt wird. Gleichwohl zwar nicht ganz so linear wie diese, ähnelt die so erzeugte Kennlinie dann der einer Triode, was im Idealfall zu einem wie auch immer gearteten, vermeintlich angenehmeren „Trioden-Klang“ führen soll. Cayin spricht hier von der Wahl zwischen „zwei unterschiedlichen Klangsignaturen“, was ich sehr treffend formuliert finde. Andere Hersteller machen so etwas ebenfalls und auch ich lasse die beiden EL84 Pentoden meines Almarro A205A MkII fest umgebaut als Eintakter im Pseudo-Triodenmodus laufen, was trotz vergleichsweise bescheidener zwei Watt Ausgangsleistung sehr gut funktioniert.
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