Das funktioniert natürlich auch beim Raven 10.5 ganz einfach. Das ist ein ganz klassisch kardanisch gelagerter Drehtonarm mit einer Länge, die einerseits eine gute Abtastgeometrie mit geringem Fehlspurwinkel und andererseits eine moderate effektive Masse garantiert. Ein Zwölfzöller gleicher Bauart hat mehr Masse und nur geringfügig weniger Verzerrungen aufgrund des kleineren Spurfehlwinkel, ein Neunzöller ist leichter, verursacht aber deutlich mehr Verzerrungen. Da ist der 10.5-er ein sehr guter Kompromiss. Thomas Woschnick verwendet bei seinen Armen selektierte Präzisionskugellager, die während der Montage noch einmal genau eingestellt werden, „um jegliche Störung des Abtastprozesses durch Haftreibung zu unterbinden“, wie er es formuliert. Ob und gegebenenfalls wie das eloxierte Aluminiumrohr bedämpft ist, verrät er nicht.
Das Headshell des 10.5 ist nicht abnehmbar, nach dem Lösen einer Inbusschraube jedoch verdrehbar, so dass sich der Azimut des Tonabnehmers einstellen lässt. Da dies nur per Hand möglich ist, lassen sich Veränderungen leider nicht reproduzieren, und die Präzision der Einstellung ist vom manuellen Feingefühl des Benutzers abhängig. Hier wünschte ich mir ein kleine mechanische Hilfe – mit der Präzision des sogenannten VTA-Risers, einer spielfreien Tonarmhöhenverstellung, die auch während des Abspielvorgangs nebengeräuschfrei genutzt werden kann, wie ich selbst ausprobiert habe. So etwas ist bei Armen in der Preisregion des Raven sonst nur schwer zu finden: Für mich ist der VTA-Riser das Highlight dieses Tonarms. Die Antiskating-Kraft wird beim 10.5 berührungslos per Magnet erzeugt. Drei mitgelieferte Gegengewichte aus Edelstahl garantieren, dass Tonabnehmer aller Gewichtsklassen verwendet werden können. Bei seiner Präsentation war der 10.5 mit einem von den Clips im Headshell bis zu den Cinch-Steckern durchgehenden Tonarmkabel ausgestattet. Das hat sich nun geändert: Im Schaft des Arms ist ein SME-Anschluss montiert, so dass man bei der Wahl des weiteren Kabels freie Hand hat. Die ließ mir Jan Sieveking nicht, sondern packte ein Cardas Clear Audio Beyond in den Karton. Erstens passt es ganz hervorragend zur Cardas-Innenverkabelung des Raven und zweitens hat es mich schon beim Test der symmetrischen Variante nachhaltig beeindruckt.
Für den Termin im Fotostudio hatte ich schnell Einsteins The Pickup installiert, hören möchte ich die beiden Raben aber erst einmal mit den Lyra Etna, das leider viel zu selten zum Einsatz kommt. Eine Plattenseite lasse ich durchlaufen, ohne wirklich hinzuhören. Es geht nur darum, den Tonabnehmer sanft aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Danach kommt das Reissue von Blues Breakers mit John Mayall und Eric Clapton auf die Matte des Raven. Die Decca-Aufnahme strotzt nur so vor Drive, Energie und guter Laune. Die beiden Raven und das Etna tun genau das, auf das ich nach dem Test des .5 gehofft hatte: Sie reißen einen sofort mit. Nicht mit dem Fuß zu wippen und die Hände ruhig zu halten ist schlicht unmöglich. Da die Scheibe nicht zu meinen Testalben gehört, habe ich hier auch keinen Lieblingstitel, auf den ich mich beschränkten könnte. Ich höre einfach beide Seiten – besonders fasziniert mich John Mayalls Gesang und das in reichlich Hall eingebettete Mundharmonika-Spiel samt der sehr reduzierten Perkussion in „Another Man“. Ähnlich viel Freude macht die Ray-Charles-Komposition „What'd I Say“ mit tollen Hammond-Sounds und Hughie Flints Schlagzeug-Solo, obwohl es in bester Ping-Pong-Manier allein auf den linken Kanal gelegt wurde. Die drei zusätzlichen Bläser auf „Key To Love“ beschwören eine Vorahnung des so charakteristischen Blues-Brother-Sounds herauf: wirklich ein Hochgenuss.
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