Während der gemeinsamen Einspielzeit hatte schon die vorherige Version des Crimson in Kombination mit der Grail SB Phonostufe mit Lebendigkeit, einer enorm weiträumigen und luftigen Bühnenillusion sowie vor allem beim Blech – seien es nun Bläser oder Becken – mit ungemein realistischen Klangfarben begeistert. Wie sich dann im Vergleich mit der Einstein Phonostufe und dem Lyra Olympos herausstellte, zählten satte, strahlende Klangfarben und eine weit ausladende und enorm realistisch anmutende Raumdarstellung aber zu den Paradedisziplinen des Grail. Wie viel das Crimson zu den klanglichen Genüssen während des gemeinschaftlichen „Warmlaufens“ beigetragen hatte, stand für mich nach dem Test des Grail also in den Sternen. Um so mehr freute mich die Illusion eines riesigen Raumes, der sich bei einer der ersten mit dem neuen Crimson gespielten Scheiben hinter den Lautsprecher aufzutun schien.
Eher zufällig war Obsoderso von Wolfgang Puschnig und Wolfgang Mitterer auf den Plattenteller gelangt. Das ist keine leichte Kost, was der Saxofonist und der Keyboarder da bieten und sei daher nur echten Jazz-Fans ans Herz gelegt: Es gibt zwei Stücke für Altsaxophon und Kirchenorgel, eines für Sax und Syntheziser und ein Solo von Wolfgang Puschnig. Auf dem Titelstück kommt noch ein Computer hinzu, wie das Cover verrät: „Computermusik hergestellt im Elelektronmusikstudio EMS Stockholm.“ Dieses Zitat dürfte schon einen Hinweis auf die Entstehungszeit der Scheibe geben: 1985. Noch älter ist aber ein anderer den Klang weitaus stärker prägender Faktor: der Aufnahmeort, die Pfarrkirche St. Anrdä in Osttirol. Dem Crimson gelingt es ganz hervorragend, den Zuhörer in einen großen, halligen Raum zu versetzen, der aber deutlich unter den Dimensionen etwa einer Kathedrale bleibt. Man hört hier und da ein leichtes Hüsteln des Publikums, dazwischen brachiale Einwürfe der Orgel, ein wenig Perkussion und mächtige Tiefen, die sich im Raum ausbreiten. Das ist nichts zum Nebenbei-Hören. Das Saxophon schreit in den Raum, die Elektronik blubbert und zirpt, und beide stehen im Kontrast zur drückenden Orgel. Zwischen einem gerade mal gehauchten Ton aus dem Saxophon und der Vielzahl der Pfeifen tun sich riesige dynamische Spannen auf, wie das Crimson glaubhaft belegt. Detailverliebt zeichnet es noch die letzte gehauchte Modulation beim Saxophon nach, um gleich darauf mit heftigen Einsätzen von Elektronik und Orgel aufzuschrecken. Die Scheibe stellte wirklich einige Anforderungen an Tonabnehmer und Hörer – wobei sich zumindest ersterer als völlig souverän erweist.
Bleiben wir noch ein wenig bei der Kombination von Orgel und Saxophon, kehren aber zurück in harmonischere Gefilde. Dort tummeln sich Arne Domnérus und Gustaf Sjökvist mit ihrem Antiphone Blues: Hier erschafft das Crimson einen deutlich größeren virtuellen Raum, in dem der Saxophonist aufnahmebedingt eine recht dominante Rolle einnimmt. Für meinen Geschmack könnte die Orgel ein gutes Stück weiter aus dem Hintergrund in den akustischen Fokus rücken. Aber für dieses leichte Ungleichgewicht kann das Crimson ja nichts. Indem es aber zum Beispiel in „Nobody Knows The Trouble I´ve Seen“ die vielfältigen Klangfarben und Positionen der verschiedenen Register präzise reproduziert, weckt es den Wunsch nach mehr Präsenz des gewaltigen Instruments. Seine feindynamischen Fähigkeit beweist es an bei der exakten Nachzeichnung der ebenso expressiven wie melodiösen Saxophonlinien.
Die meisten der bisher geschilderten Eindrücke habe ich mit dem Crimson an Einsteins „The Turntable's Choice“ gesammelt. Die beiden symmetrischen Mono-Phonostufen sorgten für die erste Verstärkung und Entzerrung der Signale des Tonabnehmers. Natürlich wird das Crimson auch noch an van den Huls The Grail SB seine Fähigkeiten beweisen. Doch bevor wir dazu kommen, möchte ich Ihnen noch kurz schildern, was auch aus der Distanz betrachtet den besondere Reiz des Crimson ausmacht. Mit der ersten Version hatte ich den Probeschnitt einer Lackfolie für unsere kommende, vierte sommelier-du-son-LP beurteilt und für ausgesprochen dynamisch und offen gehalten. Die Scheibe dokumentiert ein Solokonzert Hans Theessinks im Jazzland in Wien im Februar 2013 und wird logischerweise Live at Jazzland heißen. Es war wirklich erstaunlich, welche Dynamik der Blues-Sänger allein mit seiner Gitarre, einem kleinem Amp und seiner Mundharmonika entfesseln kann. Da kommt man zwischen leisen, lyrischen Saitentönen und einem Schlag auf den Korpus oder einem kraftvollen Vokaleinsatz schon mal auf Lautstärkesprünge von 35 Dezibel. Da wir grundsätzlich keine Limiter benutzen, schoss der ein oder andere Impuls weit in die Bandsättigung – weshalb wir dem Projekt intern auch den Arbeits- und Ehrentitel Saturation Blues verpassten.
Als dann die ersten drei Anpressungen zur Freigabe kamen, spielte im Thales gerade mal wieder das Lyra Olympos. Das musizierte sehr ansprechend, tonal völlig stimmig und nicht ohne kräftige dynamische Akzente. Ein wenig von der unbändigen Energie der Lackfolie vermisste ich allerdings schon. Ich schob den Effekt auf die Tatsachen, dass in der analogen Welt eine fertige Pressung nie so gut sein kann wie die Folie. Da wir ein paar Knackser entdeckten, orderten wir einen zweiten Satz Anpressungen, die nach einigen Korrekturen an der Mutter mit einem neuen Pressstempel gefertigt wurden. Als sie dann eintrafen, spielte sich die neue Variante des Crimson gerade im Simplicity ein: Und plötzlich war sie wieder da, die überschäumende Spielfreude, die ungezügelte Dynamik und die unwiderstehliche Energie. Gut, das Crimson betont den Präsenzbereich ein wenig mehr als das Olympos, macht dafür aber auch einfach mehr Spaß. Selbst an meiner – nennen wir sie mal: recht strengen – Kette, die völlig schlackenlos spielt, enorm hoch auflöst und ohne Bassbetonung auskommt, sorgt das Crimson bei der von mir favorisierten Musik für den besonderen Kick. Ob der keinesfalls unterbelichtete Hochtonbereich auch bei klassischen Arien für Gänsehaut sorgt, müssen Liebhaber dieses Genres selbst entscheiden. Bei mir steht so etwas nicht auf dem musikalischen Speiseplan.