Der Klang des SP20 ist anders geformt. Der Bass ist nicht so tief wie bei der Reference 5SE oder wie bei den besten Vorstufen, die ich kenne, wie etwa bei Dan D’Agostinos Momentum oder bei Ayons Spheris II – ich bin übrigens gerade dabei, die Spheris III zu testen. Der Hochtonbereich der Audio Research-Vorstufe wirkt nicht so kräftig und ausgedehnt. Und trotzdem scheint es, dass Bässe und Höhen des SP20 wesentlich auffallender sind als bei allen vorher erwähnten AR Komponenten. Es sieht so aus, als hätte der Hersteller versucht, den Klang des SP20 der Umgebung anzupassen, in der er voraussichtlich einmal spielen wird: Pragmatismus ist eine wertvolle Eigenschaft! Stärker als üblich ausgeprägte Frequenzenden – nicht generell stärker, sondern im Vergleich zu anderen AR Komponenten – bringen die imaginäre Bühne näher an den Hörer und fokussieren den Sound auf die Linie zwischen den Lautsprechern. Die Wiedergabe ist voller Emotionen und musikalischen Informationen.
Gleichzeitig klingt die Vorstufe sehr „harmonisch“: Damit meine ich die Fähigkeit, die Harmonien von Stimmen und Instrumenten wie eine einzige große Tonquelle wiederzugeben, während einzelne individuelle Töne dennoch klar erkennbar bleiben. Der SP20 ist, wie andere Komponenten dieses Herstellers, nicht besonders analytisch, deshalb sollte man auch keine klare Trennung und Isolation der einzelnen Tonquellen erwarten. Der Vorteil gegenüber vielen anderen exzellenten Vorverstärkern liegt vielmehr in der Homogenität der Differenziertheit. Crosbys Stimme vermischt sich perfekt mit denen der begleitenden Sängern, aber dabei war es jederzeit eindeutig, dass dies keine Solostimme mit einem Chorus-Effekt war. Es war reine Harmonie, ein Geschenk, das Gott – oder irgendjemand, wenn Sie an etwas anders glauben – der Stimme dieses ehemaligen Drogen- und Alkoholabhängigen – und wie das so ist – genialen Musiker gemacht hat.
Ich verweilte noch etwas länger beim neuen Album des früheren Mitglieds The Byrds, weil dies eine erfreuliche Überraschung für mich war. Doch das ist natürlich nicht das einzige Album ist, das zeigt, was ich vorhin beschrieben habe. Der getestete Vorverstärker wird jedem Album mit Aufmerksamkeit und Konzentration begegnen. Das war auch bei Anita Lipnickas Vena Amoris und beim schlecht produzierten Album The Resistance von Muse der Fall. Insbesondere der Titel „Uprising“ von der letzten Scheibe war sehr aufschlussreich, weil trotz der aufnahmebedingt schlechten Trennung der Stimmen und dem eingeschränkten Stereobild die großartige Rhythmik erkennbar wird, der Klang nicht zu einem Brei verschmiert und auch nicht weit hinter der Lautsprecherebene hängt.
Der Vorverstärker klingt über Lautsprecher wirklich großartig. Trotzdem scheint für mich „Der SP20 und die Kopfhörer“ hier der Leitgedanke zu sein. In Kombination mit den besten erhältlichen Kopfhörern bewahrt der Audio Research die grundlegenden Klangeinschaften der Vorverstärker der Reference Series. Die beinhalten einen satten Mitteltonbereich, eine mit Händen zu greifende, warme Tonalität und eine außergewöhnlich präzise innere Diffenzierung von Klangfarben und Dynamik. Dazu kommt mehr Energie an den Frequenzgangenden, was dem Audio Research die Tür zu einer Vielzahl von Audio-Anlagen öffnet. Damit ist der SP20 – vielleicht etwas paradox, da wir hier über High End zu vernünftigen Preisen reden – die am vielseitigsten einsetzbare Komponente ihrer Art im Angebot von AR, die ich kenne. Auch was die Funktionalität anbelangt, nimmt diese Vorstufe die führende Stelle ein, da sie zusätzlich zu den Hochpegeleingängen mit einer sehr guten Phonostufe – die habe ich leider nicht lange genug gehört, um sie gesondert zu besprechen, aber sie besaß einen großen, stimmigen Klang – und einen Kopfhörerverstärker. Lassen Sie mich diesen nun ein wenig in den Blickpunkt rücken. In einen Vorverstärker integrierte Kopfhörerverstärker sind gewisser Weise ein Pleonasmus. In der Sicht vieler Entwickler ist der Unterschied zwischen den beiden sehr gering und beschränkt sich auf die Schaltung der Ausgangsstufe oder oft sogar nur auf einen unterschiedlichen Ausgangspegel. Ich denke, das ist der Grund dafür, dass es keine guten Vorverstärker gibt, die auch als Kopfhörerverstärker eine gute Figur machen. Nach meiner Erfahrung liefern nur speziell für einen Verwendungszweck – entweder als Vorstufe oder als Kopfhörerverstärker – konzipierte Produkte ein sehr gute Klangqualität. Deshalb genieße ich das Vorhandensein einer Kopfhörerbuchse mit gewisser Vorsicht: Es ist ein Ausstattungsmerkmal, aber nicht wirklich wert, sich näher damit zu beschäftigen.
Daher war der Klang, den der SP20 im Zusammenspiel mit dem schwer zu treibenden magnetostatischn Kopfhörer Hifiman HF6 lieferte, für mich eine wirkliche Überraschung. Schon beim ersten Song war für mich klar, dass wir hier über einen ausgesprochen erwachsenen Klang sprechen. Dennoch brauchte ich einige Zeit, die Leistungen des Kopfhörerausgangs zu beurteilen, und zwar in einem Vergleich der Audio Research-Vorstufe mit meiner Referenz, dem Bakoon HPH-21 Kopfhörerverstärker. Wiederholte Test haben zwar gezeigt, dass der koreanische Verstärker immer noch unerreicht ist. Er war in puncto Klangtiefe und Auflösung überlegen. Auch die Definition im Bassbereich war klar besser. Allerdings sind diese Argumente genauso zutreffend, wenn man den Bakoon mit irgendeinem andere Kopfhörerverstärker vergleicht. In der Tat klang der SP20 aber so gut, dass ich, wenn er Teil meiner Kette wäre, nicht einmal darüber nachdenken würde, den Bakoon zu kaufen, auch wenn er noch besser klingt.