HGBS: Das ist richtig. Ich nehme das Klavier so auf, als wenn ich unmittelbar daran sitzen würde...als ob ich selbst spielte. Erst an den Nahtstellen, wo sich nämlich Kunst mit dem Mischpult verbindet, entscheidet es sich, ob man die Einstellung des Tones, die Abmischung der einzelnen Instrumente und speziell den richtigen Pianosound findet. Ich habe für jede Aufnahme eine ganz bestimmte Vorstellung, wie ein Flügel klingen muss. Und natürlich muss berücksichtigt werden, wer den Flügel spielt.
JEB: Man muss beispielsweise, wie Sie es getan haben, Bill Evans anders aufnehmen als Oscar Peterson und Milt Buckner und wieder anders als Wolfgang Dauner oder Friedrich Gulda. Früher hat man ja einmal gesagt, dass ein Orchester oder ein Piano so aufgenommen werden sollten, wie sie in Wirklichkeit klingen. Heute ist man da weiter. Die Berliner Philharmoniker unter Karajan klingen auf ihren Platten besser als in der Philharmonie. Yehudi Menuhins Geigenton kann niemand im Konzertsaal in so vollendeter Reinheit und Kraft hören, wie man es von seinen Platten her kennt. Ähnlich ist es bei Ihren Peterson Aufnahmen. Ich höre Peterson seit mehr als 15 Jahren – in Konzerten, auf Festivals, in Nightclubs und natürlich auch auf Platten. Aber ich habe ihn noch nie so brillant gehört, wie auf Ihren Aufnahmen.
HGBS: Ich erinnere mich noch, wie ich anfing, Oscar aufzunehmen. Es war 1963 und ich war natürlich sehr aufgeregt, einen so großen Star vor den Mikrofonen zu haben. Ich weiß noch, gleich am Anfang gab es ein paar Schwierigkeiten. Oscar sah die Trennwände und dass ich das Schlagzeug in eine Ecke stellte und den Bass ihm entgegengesetzt platziert hatte und er sagte gleich „No – das kommt nicht in Frage“. Ich habe dann alles so arrangiert, wie Oscar es sich vorstellte und bereits damals, bei dieser ersten Aufnahme, fand er, er habe noch nie so gut geklungen.
JEB: Das war das Trio mit Ray Brown und Ed Thigpen?
HGBS: Ja, auf dieser Platte sind es die Stücke der zweiten Seite (der LP Action) vor allem das phantastische „Foggy Day“
JEB: Sie haben ja nun im Laufe der Jahre ein wirklich repräsentatives Oscar Peterson Archiv geschaffen – wahrscheinlich das repräsentativste, das es gibt. Wie viele Sessions haben Sie gemacht?
HGBS: Von 1963 bis jetzt jedes Jahr eine. Also sechs Sessions. Ich glaube, es sind etwa 60 Titel.
JEB: Und daraus hat sich nun eine wirkliche Freundschaft entwickelt, was ja auch wieder der musikalischen Zusammenarbeit zugute kommt.
HGBS: Diese Freundschaft ist eigentlich ein Rätsel. Ich spreche so gut englisch, wie Oscar deutsch, das heißt, wir können uns verbal nicht verständigen. Und doch haben wir in allen Punkten die gleichen Interessen und Ambitionen. Er ist – genau wie ich – ein Klavierfan, was ja interessant ist, denn er kommt ja nicht vom Klavier her, sondern von der Klarinette. Er liebt die Natur, die Landschaft, hier bei uns den Schwarzwald, das Wasser – den Bodensee – er ist leidenschaftlicher Wassersportler, wie ich auch. Auch in politischer Hinsicht – etwa was das Rassenproblem betrifft – haben wir die gleichen Anschauungen. Sandy, Oscars Frau, hat einmal gesagt, wir seien „soul brothers“.
JEB: Wie ist es überhaupt möglich, dass diese Platten erscheinen können? Man weiß: Oscar ist an eine große amerikanische Plattenfirma exklusiv gebunden.
HGBS: Die Initiative ist eigentlich mehr von Oscar ausgegangen – einfach weil er hört, dass dies nicht nur von der Aufnahme, sondern auch von der Interpretation her das Maximale darstellt, was er überhaupt gespielt hat. Oscar hat oft darunter gelitten, dass sein Produzent Norman Granz ihn aus erklärlichen Gründen häufig bitten musste, kurze Stücke von nur 3 – 4 Minuten Dauer zu spielen. Er hat dann keine Entfaltungsmöglichkeit. Deshalb sagt er auch, dass seine guten Interpretationen in Amerika meist in Nightclubs zustande gekommen seien. Andererseits wird die Aufnahme dort dann wieder gestört durch das Reden der Gäste, durch Lachen und Gläserklirren – die Leute hören in den USA ja oft gar nicht richtig zu. Man sollte, glaube ich, nicht alles auf die Technik alleine schieben. Es kommt auf die ganze Atmosphäre an, die bei den Aufnahmen herrscht. Wir haben alle Aufnahmen in meinem Privathaus gemacht – auch die Soloplatte, jedoch ohne Publikum. Alle anderen Stücke – also auch diejenigen dieser Platte – entstanden bei Parties. Das hängt schon mit den ersten Aufnahmen zusammen, die wir gemacht haben, 1963. Die Agentur, die mir damals Peterson vermittelte, sagte: „Studioaufnahmen kommen nicht in Frage, Mr. Peterson ist exklusiv verpflichtet, er kann nur ein Hauskonzert machen.“ Ich habe mir dann gesagt, wir machen einfach eine Party. Und ich habe Leute eingeladen, von denen ich glaubte, dass sie Verständnis für diese Sache haben und das ist dann ein wirklicher Erfolg geworden.