Angekommen an unserem Ziel, berichtet mir meine Frau amüsiert von den Ausführungen eines älteren Herren, der sich als Angehöriger der „Früher-war-alles-besser-Fraktion“ wortreich outete. Auch unterhielten wohl einige Kinder im Vorschulalter die Waggoninsassen. Davon habe ich nichts mitbekommen! Schon mit den ersten Takten bin ich für die nachfolgenden Stunden tief in das radius-Klang-Universum eingesunken. Ein Kosmos, in dem der getriebenen Entwicklungsaufwand sich nicht als bloße technoide Leistungsschau entlarvt, sondern der ein überaus stimmiges musikalisches Erlebnis beinhaltet. Ganz gleich, welcher Musikstil die Elektronen in der Zuleitung anregen, im Hörkanal entstehen Schallwellen, die ein ganzheitliches Bild der Musik offerieren. Die frappierende Präzision in den oberen Lagen, die scheinbar mühelos jedes Detail zeichnet, wahrt die Balance zur klanglichen Härte. Die Mitten können präsent und kraftvoll tönen und mit dem nächsten Takt warm und zart. Gleichsam schnell wie trocken trifft der Bass das Trommelfell, das Andicken der tiefen Töne wird Mitbewerbern überlassen. Aber vorsichtig ausgedrückt ist so eine Differenzierung des Frequenzbandes in drei Bereiche etwas grobschlächtig, zumal ohnehin alles bruchlos miteinander funktionieren muss. Und das ist die wahre Meisterschaft des radius W n°4.
Ein paar Kostproben aus der Hörsession: Drei Virtuosen ihres Faches spielen auf dem Album Day Trip. Ausnahmegittarist Pat Metheny gibt den Bandleader, Christian McBride am Bass und Antonio Sanchez am Schlagzeug sind die kongenialen Partner. Gerade Letztgenanntem bei seiner Kunst zu lauschen, ist mit dem W n°4 die wahre Wonne. Sein Spiel bei dem Stück „Tromso“ mit und auf den Becken lässt sich auch mit einem iPhone als Zuspieler bis ins allerletzte Detail verfolgen. Meist wird das Blech mit schnellen Schlägen mehr gestreichelt als geschlagen – jeder Anschlag ist artikuliert, die feinen Schwingungen des Abklingens erreichen unmittelbar die Hörnerven, dazu visualisieren sich im Kopf die Dimensionen der unterschiedlichen Becken. Einen Wimpernschlag später explodiert das Metall klar nachvollziehbar unter dem härteren Anschlag. Ebenso eindringlich die angerissenen Saiten von Metheny und der Groove von McBride am Akustikbass. Auf dem ersten Solo-Album von Sting The Dream Of The Blue Turtles findet sich der Song „Consider me gone“. 25 Jahre später interpretiert der Oberpolizist mit seiner angenehm gereiften Stimme auf der Zusammenstellung Conversations with Christian seinen Klassiker. Exakt positioniert zwischen den Lautsprechern, Verzeihung zwischen den Ohren, flankiert von einer Akustikgitarre und dem Bass von McBride trägt er seinen Klassiker mit seiner sonoren warmen Stimme vor. Sein jugendliches Kieksen kommt heute mit mehr britischer Noblesse rüber. Ebenso körperhaft wie der Gesang die Akustikgitarre auf der linken Seite. Tief schwingende Saiten und ein großer hölzerner Resonanzraum auf der rechten Seite, wobei der gezupfte Bass bei aller Fülle immer drahtig bleibt.
Es galt, die Opfer der Julirevolution von 1830 in Frankreich zu ehren und Hector Berlioz sollte dazu ein Requiem erschaffen. Und obwohl es sich um eine Totenmesse handelte, schwebte dem Komponisten nichts geringes vor, als das größte je geschriebene Orchesterwerk zu komponieren. Allein sechzehn Pauken, zwei große Trommeln sowie zehn Paar Becken empfahl Berlioz für seine Grande Messe des Morts, ergänzt um den Hinweis, dass die Zahlenangaben relativ seien und gerne auch verdoppelt oder verdreifacht werden könnten. Der britische Dirigent Paul McCreesh und das polnische Ensemble Wroclaw stellten sich im Jahr 2010 der Aufgabe, das imposante Werk in der vorgesehenen Orchestergröße einzuspielen. Hunderte von Musikern und Sängern wurden in der Maria-Magdalena-Kirche in Breslau zu einem gigantischen Klangkörper vereint.
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