tests/14-01-13_grado
 

GRADO GR 10

13.01.2014 // Bert Seidenstücker

Mit den größten Silikonaufsätzen bewährt, erreichen um viele Dezibel gedämpft nur noch Reste des Geklappers mein Trommelfell, Musikhören ist in dieser feindlichen Umgebung so kein Problem. Dank des eindrucksvollen Wirkungsgrades bleibt der Volumensteller in moderater Position. Ein Austesten der Leistungsfähigkeit des Abspielers führt zu monströsen Pegeln, die, ob der Unmittelbarkeit der Entstehung, dem Hörvermögen bei längeren Einsatz fraglos abträglich wären. Vom Berliner Musiker und DJ Vincenzo Ragone stammen die glänzend produzierten Töne auf dem zugigen Bahnsteig. Der Song „Baited Breath" groovt wunderbar satt aus dem kleinem Hörer. Knorrig und tief der Bass, samtig die Mitten zugleich irisierend in den hohen Lagen. Gründliches Einspielen ließ die leichte Heiserkeit, die noch den ersten Kontakt am Abend zuvor kennzeichnete, ausheilen. Deutlich nachlässiger erstellt ist die nächste MP3-Datei „Don´t drink the water“ von der Dave Matthews Band, ein Umstand, den der GR 10 umgehend mit einer eher blassen wenn auch lebendigen Wiedergabe bestraft.

Nach diesem Feldversuch zieht es mich zurück in ruhigere heimische Gefilde. Verkabelt mit dem Laptop ruf eich für den Hörer in iTunes gezielt unkomprimiert MusikFiles auf. Herrliche Klangcollagen von Rene Aubry bilden den Auftakt zu einer langen Hörsession. Im Stück „Alice“ vom Album Refuges verschmelzen zarte Saiten- und Klavieranschläge mit elektronisch verfremdeten Instrumentengruppen. Unterlegt wird die fragile musikalische Struktur von einem gesampelten Herzschlag. Wie die meisten Longplayer von Aubry ist die Aufnahme erstklassig eingespielt. Trotz des eher bescheidenen Kopfhörerverstärkers im Rechner kann das Ergebnis betören. Die Instrumente werden körperhaft dargestellt, zudem entsteht außerhalb der Schädelmitte ein realistischer imaginärer Raum. Kraftvoll, mithin verstörend durchbricht der dumpfe Pulsschlag das Klanggebilde, ungewöhnlich fein und präzise präsentiert sich der Hochtonbereich

Optisch ein Leicht- klanglich ein Schwergewicht
Optisch ein Leicht- klanglich ein Schwergewicht

Bei weiteren Hörproben, deren Bogen sich von orchestralen Werken (Mahler) zu stimmgewaltigen Songs (Lizz Wright und Lou Rohdes) spannte, bewies der Hörer jeweils seinen sensiblen Umgang mit dem gebotenen Material – Limits setze nur der Zuspieler. Mit dem Wechsel zur „großen“ Anlage mit einem „richtigen“ Kopfhörerverstärker sollten diese Restriktionen aufgelöst sein. Und fürwahr, mit dem neuen Setup begann die Party.

Ungemein dynamisch und mit großer Liebe fürs Detail spielte sich der In-Ear Hörer durch das Programm. Im Vortrag eher sehnig als füllig, dabei mit natürlichen Klangfarben und einer faszinierenden Klarheit gesegnet. Speziell Live-Aufnahmen entwickeln einen ungeheuren Charme: knarzende Klavierhocker, das leise Hüsteln vor dem Einsatz, die Rufe aus dem Publikum, vieles davon habe ich selten so greifbar wahrgenommen. Die Playlist wird immer umfangreicher und mit geradezu kindlicher Freude fahndete ich in dem bekannten Stücken nach den kleinen Fehlern und Lebenszeichen der Musiker respektive Techniker.

Die Finesse des Grado bewirkt allerdings auch manche Grausamkeit, denn schlechte Signale klingen eben auch so. Anderseits bin ich bei dem Vergleich von inhaltsgleichen, aber verschieden aufgelösten Dateien – CD versus HighRes – geneigt anzunehmen, zwei unterschiedlichen Musikstücke zu lauschen, so apodiktisch ist das Resultat.
Anschlussstecker, Kabel und Hörer: zusammen 10 Gramm
Anschlussstecker, Kabel und Hörer: zusammen 10 Gramm

Dass Unperfektes aber auch gehörig Spaß machen kann, beweist das Vinyl-Debüt von Lianne La Havas Is your love big enough?. Rauschfahnen und ungewollte Verzerrungen werden vom GR 12 genüsslich seziert, aber trotz oder gerade wegen dieser Defizite ist eine bisweilen ergreifende Produktion entstanden. In all seiner Pracht wird als Schlusspunkt des Hörtest das wunderschöne Musikstück „ Soyeusement“ von der gleichnamigen, im Frühsommer 2011 in Frankreich aufgenommenen Langspielplatte, reproduziert.


  • oBravo Cupid

    Was muss denn unser Wunsch-In-Ear alles können? Also, geschmeidige, transparente und dreidimensionale Mitten und Höhen mit einer riesigen Bühne, präzises Abbildungsvermögen, frische Dynamik und dazu ein tiefer, kontrollierter und farbiger Bass. Und das alles für kleines Geld. Das wars eigentlich schon. Ok, den gibt es nicht. Aber ich hätte hier etwas von der taiwanesischen Firma oBravo für Sie. Sozusagen die Einstiegsdroge. Ob diese nun unter das Betäubungsmittel-Gesetz fallen würde, wollen wir in diesem Bericht ermitteln.…
    22.11.2019
  • MrSpeakers Ether 2

    „Frequenzgang? Ja!“ Das steht genau so im Datenblatt des Ether 2, dem neuen Magnetostaten-Flaggschiff des kalifornischen Herstellers MrSpeakers. Mit Superlativen in Sachen Frequenzgängen muss sich der Kopfhörer nicht schmücken, sein hervorragender Ruf eilt ihm voraus. Nicht nur deshalb bin ich sehr gespannt auf einen ausführlichen Test. Das Design des Ether 2 zieht mich unweigerlich an. Aktuell einer der schönsten Kopfhörer, die der Markt zu bieten hat. Sehr filigran, elegant und zeitlos. Kein Detail zu viel…
    24.09.2019
  • Vision Ears Erlkönig

    O tempora o mores! Testet Hifistatement jetzt schon Hörgeräte? Audiophile Hörgeräte zum Jungfühlen? Keine Sorge, soweit ist es noch nicht. Noch nicht! Aber eine Art Hörgerät ist das Ganze ja irgendwie doch. Was reitet nun jemanden, der normalerweise mit einer abgefahrenen Röhrenanlage und Feldspulenlautsprechern hört, sich diese Stöpsel – Originalton meiner Frau – ins Ohr zu stecken? Ganz einfach, weil die Musik damit verdammt viel Spaß macht. Und zudem noch hervorragend klingt. Scherze, wie der…
    06.08.2019
  • Hifiman Jade II

    Jade hat in der Chinesischen Kultur und Mythologie einen hohen Stellenwert. So ist es nicht verwunderlich, dass Hifiman bei der Neuauflage des Jade-Elektrostaten dem Namen treu bleibt und lediglich eine II hinzufügt. Im Test stelle ich fest, dass der Kopfhörer nicht nur ein Schmuckstück ist, sondern klanglich an sein elegantes Äußeres anknüpft. In der Produktlinie von Hifiman, dem von Dr. Fang Bian ursprünglich in New York gegründetem und inzwischen von Tianjin, China aus operierenden Unternehmen,…
    11.06.2019
  • Cayin HA-300

    Der chinesische Hersteller präsentiert mit dem HA-300 ein als Kopfhörerverstärker ausgewiesenes Gerät mit der Triode 300B, bei dem es sich gleichzeitig um eine ausgewachsene Single-Ended-Endstufe mit separatem Röhrennetzteil handelt. Mir ist sofort klar: Dieses Teil muss zum Test zu mir! Wie so häufig im Leben kommt es auf den Standpunkt an. In Fall des Cayin HA-300 kam mir zunächst folgende Frage in den Sinn: Handelt es sich hierbei tatsächlich um einen Kopfhörerverstärker, der sich auch…
    25.10.2018
  • Sonoma Acoustics M1

    Für mich schien das Thema Kopfhörer abgeschossen: Dessen hatten sich in letzter Zeit zwei besonders Kopfhörer-affine und kompetente Kollegen angenommen. Aber bei einem Komplettsystem mit neuer Technologie, das den Namen der bekannten Sonoma-DSD-Aufnahme-Workstation trägt, kann ich einfach nicht widerstehen. Hinzu kommt, dass Finn Gallowsky, einer unserer beiden Kopfhörerspezialisten, in seinem Bericht über die CanJam ausgesprochen positiv über den M1 schrieb. Grund dafür war weder ein Wahnsinns-Bass noch eine außergewöhnlich feine Auflösung. Der Kollege pries vor…
    22.06.2018

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.