Als Folge des etwas rüden Transports über 500 Kilometer hat sich dann noch eine weitere Röhre verabschiedet, allerdings völlig unspektakulär: Bei der üblichen Bias-Strom-Messung nach dem Ausschalten der Endstufen wurde ein Fehler entdeckt, eine der sechs LEDs auf der Rückseite des Verstärkers signalisierte, welche Röhre auszutauschen sei und die Illumination des Ayon-Schriftzuges blinkte, statt zu erlöschen. Ich trennte die Epsilon vom Netz, ersetzte die inkriminierte Röhre, stellte die Netzverbindung wieder her und startet nach dem Einschalten wieder das Prüf- und Einmessprogramm. Nach ein paar Minuten musizierten die Epsilon, als sei nichts gewesen. Falls Sie sich fragen, warum ich diese beiden kleinen Zwischenfälle überhaupt schildere, wo doch sonst fast überall nur von den positiven Erlebnissen mit Testgeräten zu lesen ist: Erstens, weil ich noch einmal ganz nachdrücklich darauf hinweisen möchte, dass es für die sensiblen Glaskolben in keiner Weise zuträglich ist, im Verstärker statt in der schützenden Pappschachtel transportiert zu werden – auch über kurze Strecken hinweg. Und zweitens, um all jene, die den Klang von Röhren-Amps dem von Transistorverstärkern vorziehen, aber dennoch nicht in erstere investieren aus Angst, Röhren seien besonders anfällig und damit wenig alltagstauglich, zu ermutigen, ihren klanglichen Vorlieben zu folgen und die Bedenken hintanzustellen – zumindest, wenn die Objekte der Begierde von Ayon stammen oder ebenso gut abgesichert sind wie die österreichischen High-Tech-Amps. Die auf die KT150 umgebauten Epsilons transportierte ich übrigens in der Originalverpackung von Graz nach Gröbenzell – und bis jetzt hat es nicht das geringste Problem mit einer der Röhren gegeben.
Es hatte also einige Wochen gedauert, bis die Epsilons wieder in meinen Hörraum zurückkehrten. Da reicht selbst die beste akustische Erinnerung nicht aus, um die durch den Röhrenwechsel bedingten klanglichen Veränderungen im Detail beschreiben zu können. Insgesamt spielen die leistungsstärkeren Röhren noch eine Spur souveräner und entspannter, um bei Impulsen um so heftiger zur Sache zu gehen. Dass die Endstufen selbst bei recht saftigen Pegeln noch absolut unangestrengt agieren, manifestiert sich auch in einem räumlich weiten und enorm stabilen Klangbild, in das eine Fülle von Details spielerisch und völlig selbstverständlich integriert werden. Aber Bestwerte in einer Vielzahl von Hifi-Disziplinen erreichen viele sehr gute Verstärker. Die hervorragenden Einzelleistung zu einem stimmigen, emotional fesselnden Erlebnis werden zu lassen, vermögen allerdings nur die aller besten Vertreter ihrer Gattung. Die Ayon Epsilon ist einer von ihnen.
Was mich so sehr für die Epsilons einnimmt, ist der druckvolle Oberbass-Bereich und dieser gewisse Hauch Wärme. Das sind zwar Eigenschaften, die man Röhrenverstärkern gern nachsagt, aber um Missverständnissen vorzubeugen: Die Epsilons sind weit entfernt von dem, was man landläufig als Röhrenklang bezeichnet: Sie erlauben sich keinerlei Weichzeichnereffekte, haben die Bass-Chassis fest im Griff und neigen auch nicht zur Euphonie. Sie verwandeln schlechte gemachte Scheiben nicht in Drogen für Audiophile, sind allerdings auch nicht ganz so gnadenlos streng wie einige ihrer Transistorkollegen. Für mich sind die Ayon die nahezu perfekte Ergänzung meiner bestehenden Kette.
Da ich mit dem Klang der Epsilons wunschlos glücklich bin, weiß ich nicht so recht, warum ich die KT150-Pentoden als Trioden verwenden sollte. Aber erstens bieten die Ayon diese Betriebsart an und zweitens war der Kollege Schimmel beim Test des Cayin-Vollverstärkers vom Trioden-Modus derart begeistert, dass ich ich diese Spielart nicht einfach ignorieren kann. So mache ich mich dann nicht ganz vorurteilsfrei an den Vergleich, wobei wegen der Aus- und Einschaltprozedur der Epsilon zwischen den beiden Versionen desselben Stückes bis zu fünf Minuten vergehen. Bei Ravi Shankars „West Eats Meat“ wirken die Instrumente im Raum bei Trioden-Betrieb etwas plastischer, die Wiedergabe gerät einen Hauch luftiger. Die tiefe Pauke und der E-Bass besitzen jedoch bei der Pentoden-Schaltung mehr Druck und Kontur. Hier sind die KT150 in ihrer angestammten Betriebsart für mich erste Wahl. Bei Keith Jarretts Köln Concert fällt die Entscheidung dann schon schwerer: Die Trioden-Schaltung lässt den Flügel einfach intensiver singen, das Klangbild erscheint geschlossener, Jarretts Spiel emotional noch packender. Dafür lassen die Pentoden im bestimmungsgemäßen Modus die einzelnen Töne in ihrer Positionierung im Raum und in der Dynamik noch differenzierter erklingen. Das kommt dem etwas nüchterneren Vortrag, den ich über Jahre von Transistoren gewohnt war, ein gutes Stück näher. Aber nach einigen Monaten mit den KT88 bestückten Epsilon kann ich nicht mehr ruhigen Gewissens behaupten, die – nennen wir es mal: – intellektuell-analytische Spielart der emotionaleren vorzuziehen.