Andreas Schönberg gab mit sein erstes Exemplar, meinte, dass das MC-1 für unter 1500 Euro zu haben sein würde und wünschte viel Spaß beim Einspielen. Der war allerdings nicht völlig ungetrübt: Zwar agierte das Charisma von Anfang an recht dynamisch, lebendig und jederzeit spannend und ansprechend, im Präsensbereich tat es allerdings ein wenig zuviel des Guten und auch räumlich konnte es nicht sofort überzeugen. Aber das wäre von jedem Tonabnehmer mit gerade mal ein oder zwei Betriebsstunden wohl zuviel verlangt. Nicht umsonst wird in der Bedienungsanleitung eine Einspielzeit von 50 Stunden genannt. Schon nach zehn, 15 Stunden konnte man erkennen, wohin die Reise geht: Die Einspielzeit wird aus dem Charisma – zum Glück – kein Kind von Traurigkeit machen, aber die Präsenzbetonung nimmt langsam ab und auch räumlich öffnet sich das MC-1 mehr und mehr.
Tendenziell erinnert mich das Charisma an ein EMT: saft- und kraftvoll, voller Spielfreude, ohne Rücksicht auf das letzte kleine Detail. Dem ehemaligen deutschen Rundfunktonabnehmer war ja nur durch eine Reihe von Modifikationen eine höhere Feinzeichnung zu entlocken. Das begann mit den von EMT in den 80-ern selbst angebotenen verschiedenen „scharfen“ Nadelschliffen und ging über die Versionen von van den Hul, Tubaphon bis Roksan bis zu den heutigen Edelvarianten von Brinkmann oder denen unter dem eigenen Firmennamen. Die spielen allerdings in einer ganz anderen Preisklasse als das Charisma, das in puncto Lebendigkeit sehr gut mithalten kann, bei der Feinzeichnung aber nicht ganz die etablierte und deutlich kostspieliger Konkurrenz herankommt – zumindest nicht nach 20 Betriebsstunden.
Aber wenn man keinen direkten Vergleich hat, ist Detailfreudigkeit so ziemlich das Letzte, was man vermissen würde. Wenn ein Tonabnehmer so emotional ansprechend, so tonal stimmig, grobdynamisch fesselnd und räumlich glaubwürdig spielt wie das Charisma, macht es einfach nur Spaß, eine Scheibe nach der anderen aufzulegen. Das ist bei einem hochauflösenden System, selbst wenn es auch noch die hinterste Raumecke effektvoll ausleuchtet, noch lange nicht selbstverständlich. Ich gebe ja gerne zu, dass ich durch den Genuss des Lyra Olympos und des Air Tight PC-1 Supreme in Sachen Tonabnehmer ein wenig verwöhnt bin. Nachdem das Charisma aber so an die 50 Stunden hinter sich gebracht hatte, kam der Wunsch, schnell wieder zu einem meiner beiden Lieblingsabtaster zu wechseln, gar nicht mehr auf. Statt mit dem Umbau – der geht bei einem vorjustierten System samt Gegengewicht im Thales recht flott von der Hand – auch nur wenig Zeit zu vergeuden, höre ich mit dem Charisma lieber eine lange nicht aufgelegte Scheibe: Wynton Marsalis The Majesty Of The Blues, CBS 465129 1. Da tonal alles stimmt und nichts nervt, drehe ich gerne die Lautstärke immer noch ein Stückchen höher, erfreue mich am tiefen Trompetensolo auf „The Pusheeman Strut“ und der subtilen Feindynamik. Auch rhythmisch kommt das Sextett auf den Punkt und die Klangfarben leuchten warm und satt. Der Sermon über die „Premature Autopsies“ des toten Jazz geht unter die Haut. So viel Gefühl rüberzubringen, gelingt nur wirklich guten Tonabnehmern, die ihre technischen Fähigkeiten schon nach den ersten Tönen vergessen lassen. Das Charisma ist eines von ihnen.
Bisher habe ich das MC-1 mit einem Abschlusswiderstand von 300 Ohm betrieben, nach der alten Faustregel: Innenwiderstand mal zehn bis 20. Bei 150 Ohm wirkt der Groove ein wenig verschleppt, der Bass zwar eine Spur fetter, aber dessen bedarf das Charisma ja nun wirklich nicht. Bei 300 Ohm fehlte es ja nicht im mindesten an Druck im Tieftonbereich. Wie zu erwarten groovt das MC-1 mit einem Abschluss von 500 Ohm noch mitreißender, die Darbietung gerät noch eine Spur luftiger, Becken bekommen noch eine Prise mehr gleißenden Glanz. Ob dies von Vorteil ist, hängt natürlich vor allem vom Rest der Kette und vielleicht auch ein klein wenig vom Musikgeschmack ab. Bei mir gibt der Drive den Ausschlag: Es bleibt bei 500 Ohm. Damit geht das Charisma gnadenlos zur Sache und macht jede Menge Spaß! Da bleibt, die entsprechende Jazz-Scheibe vorausgesetzt, kein Fuß ruhig. Das MC-1 hat mich wirklich für sich eingenommen.
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