Da sich eine etwas ausführlichere Version der Geschichte des Biegewellenstrahlers im gerade genannten und über den Link leicht zu erreichenden Bericht über die German Physiks Unlimited findet, beschränke ich mich hier auf eine gekürzte Variante: Der Ingenieur, Mathematiker und Soziologe Peter Dicks begann schon 1978 mit der Entwicklung eines Schallwandlers dieses Typs. Ab den frühen 90-er Jahren verbesserte er dann in Kooperation mit German Physiks-Chef Holger Müller, der als Besitzer einer Ohm F mit Walsh-Wandler vom enormen Potential der Biegewellenstrahler überzeugt war, seinen Treiber. Im Jahre 1992 wurde dann der erste German Physiks Lautsprecher der Öffentlichkeit präsentiert.
In der Zwischenzeit erfuhr der German Physiks-Wandler zwar eine Reihe von Optimierungen. Er arbeitet aber trotz aller Modifikationen nach dem bewährten Prinzip: Eine Spule versetzt den Konus in der Form eines Kegelstumpfes in Schwingungen. Beim aktuellen Modell ist dies eine Flachdraht-Aluminiumspule auf einem Kapton-Träger und sls Membranmaterial dient heutzutage ein Verbundmaterial mit Karbonfasern mit einer Dicke von nur 0,15 Millimetern. In den unteren Frequenzbereichen verhält sich der Wandler wie ein Konuslautsprecher. Zu höheren Frequenzen hin werden mehr und mehr und schließlich alle Schallanteile durch Biegewellen in der Membran abgestrahlt. In seinem Hauptarbeitsbereich kommt der German Physiks Wandler dem Ideal einer Punktschallquelle sehr nahe. Die Besonderheit beim Unicorn ist nun, dass der Arbeitsbereich des Chassis nicht durch eine Frequenzweiche nach unten begrenzt wird und der vom Konus nach unten abgestrahlte Schall nicht in einer geschlossenen Kammer bedämpft wird, sondern durch eine hornähnliche Konstruktion in Bodennähe in den Hörraum entlassen wird. Verblüffenderweise – zumindest für mich – reicht diese Energie aus, ein vollwertiges Bassfundament zu liefern.
Das geht allerdings nicht von selbst: German Physiks hat dem Unicorn dafür eine Impedanzanpassung spendiert, mit der sich der Pegel im Bassbereich sogar noch in drei Schritten um plus dreieinhalb Dezibel anheben lässt. Ebenfalls durch das Umstecken von Jumpern lässt sich die abgestrahlte Hochtonenergie um zwei Dezibel vermindern oder um zwei respektive vier Dezibel verstärken. Die Center-Frequenz liegt bei der Bass-Korrektur bei 60 Hertz, im Hochtonbereich um acht Kilohertz. Während des Tests blieb es bei den linearen Einstellungen, da es weder an Bässen noch an Höhen mangelte. Neben der Impedanzanpassung mit ihren Klangstellern bedarf es aber noch einer ganz speziellen Gehäusekonstruktion, um dem einzigen Chassis zu ausreichend Bassdruck zu verhelfen. Holger Müller ließ wissen, dass es sich beim Gehäuse des Unicorn nicht um ein klassisches Horn handele. Der Biegewellenwandler arbeitet auf ein weniger als fünf Zentimeter hohes, die Gehäusebreite und -tiefe ausnutzendes Volumen. Das Brett, das dieses Volumen definiert und parallel zum Gehäusedeckel verläuft, ist allerdings mehrfach gelocht. Durch diese Löcher gelangt der tieffrequente Schall dann weiter ins Innere des Gehäuses. Dort gibt es noch zwei schräg nach unten weisende Bretter zur Schallführung, die aber ebenfalls keiner klassischen Horngeometrie entsprechen.
Im Gegensatz zu den bekannten German Physiks-Lautsprechern, bei denen die Wände oft mit Hawaphon-Platten und dicken Filzauflagen am Mitresonieren gehindert werden, dürfen die Flächen des Unicorn schwingen, wie sie wollen – oder, um korrekt zu sein, wie sie sollen. Denn sie bestehen aus Holzwerkstoffen verschiedener Dichte und haben selbstverständlich auch unterschiedliche Abmessungen, so dass sie unterschiedliche Resonanzfrequenzen besitzen. Material und Maße wurden von einem extra zum Konstruktionsteam hinzugezogenen Instrumentenbauer vorgegeben. Das schwingungstechnische Eigenleben des Gehäuses ist also ein integraler Bestandteil der Konstruktion. Und deswegen lässt sich auch – leider – nicht das geringste an den Abmessungen des Unicorn ändern. Etwas weniger Breite und ein wenig mehr Tiefe – und schon würde das Gehäuse viel gefälliger wirken. Aber das sei wirklich nicht machbar, versichert mir Holger Müller, der natürlich auch um die – nennen wir sie mal freundlich – leicht gewöhnungsbedürftige Optik des Unicorn weiß. Grund für meine Frage nach einer ein wenig gefälligeren Form war übrigens die spontane Reaktion meiner Gattin, die nach ein paar Minuten Musikgenuss meinte: „Gibt's die auch in schön? Dann könnte ich mir ein Paar für meine Anlage im Wohnzimmer schon gut vorstellen.“
Das Testexemplar in Nussbaum zielt eher auf den asiatischen Markt. Es gibt das Unicorn aber auch in einer speziell für den deutschen Mark gefertigten D-Version in Schleiflack mattweiß. Auf Wunsch und gegen Aufpreis sind zusätzlich hochglänzende oder mit Carbonfaser-Platten beschichtete Teilflächen erhältlich. Komplette Hochglanzgehäuse oder solche mit Carbon-Beschichtung würden das Resonanzverhalten der Konstruktion zum Negativen hin verändern und werden deshalb nicht angeboten. Mich erinnert die Unicorn in ihrem Nussbaumfurnier an meine Ohm C2, meinen ersten wirklichen Hifi-Lautsprecher, eine konventionelle Drei-Wege-Konstruktion …
Schon beim ersten Song verblüffen die Unicorn im meinem Hörraum mit jeder Menge Bass. Aber der erst so positive Eindruck schlägt mit der Zeit ins Gegenteil um. Ihrem Tieftonbereich mangelt es an Präzision und wohl auch an Linearität: Mal ist es des Guten schon ein bisschen zuviel, dann – vielleicht eine Oktave darüber oder darunter – wünschte man sich ein wenig mehr. Zum Glück ist Holger Müller noch da und kann das Phänomen erklären: Die Impedanzkorrektur arbeitet nur bei niedrigen Innenwiderständen der Endstufen, wie man sie normalerweise bei Transistorverstärkern antrifft, wie beabsichtigt. An den Ausgangsübertragern der Ayon Epsilon Röhrenendstufen kann die Impedanzkorrektur prinzipbedingt nicht das gewünschte Ergebnis bringen. Abends schließe ich dann meine kleinen, aber feinen Cello Encore 50 an und das Bassproblem ist verschwunden: Jetzt musizieren die Unicorn auch im Tieftonbereich völlig ausgewogen. Selbst bei den nun ein Stück geringeren Pegeln verwöhnen einen die Biegewellenstrahler mit einer vom Chassis losgelösten, schnellen, offenen und homogenen Wiedergabe. Aber die Freude dauert nur bis zum nächsten Morgen.