Bei Tonabnehmern ist es noch viel schwieriger, Vertreter dieser eher zurückhaltenden Gattung zu finden. Kein Wunder, dass mich das relativ bezahlbare EAT mit ähnlich guten Leistungen in allen Bereichen beeindruckt hat. Auf dem Markt für Tonabnehmer tummeln sich selbst in den obersten Etagen ja sonst eher ausgesprochen ausgeprägte Charaktere: sei es ein detailverliebtes, eher helles Clearaudio, ein dynamisch mitreißendes EMT-Derivat oder ein mehr dem Genuss, denn der Wahrheit verpflichtetes Koetsu. Einerseits ist diese klangliche Vielfalt zu begrüßen, lässt sie doch jeden Musikfreund nach seiner Fasson selig werden. Andererseits verwundert es, dass das, was der Begriff „High Fidelity“ einst beschrieb, für viele Entwickler bei Systemen nicht unbedingt verpflichtend zu sein scheint. Für Jonathan Carr ist er es, wie das Atlas beweist.
Sie merken schon, das große Lyra macht es mir nicht leicht: Er wäre so viel einfacher, Ihnen von irgendeinem besonderen Merkmal vorzuschwärmen. Aber beim Atlas spielt sich keine Eigenschaft in den Vordergrund. Das asymmetrische Lyra erreicht in allen Disziplinen ein bisher nicht gehörtes Maß an Perfektion. Und das erschließt sich nicht beim schnellen Reinhören. Gönnen Sie aber einmal eine wohlbekannte Scheibe mit dem Atlas: Plötzlich wirkt der Raum ein wenig realistischer, das hölzerne Knarren eines Kontrabasses tritt minimal deutlicher hervor, das rhythmische Zusammenspiel eines Jazz-Trios wirkt eine Spur zwingender, hier kommt der ein oder andere Klavieranschlag minimal schneller, besitzt einfach mehr Energie und da macht für Sekundenbruchteile eine Bass-Drum mit ungemein realistischem Druck auf sich aufmerksam. Und dennoch bleibt die Geschlossenheit der Darbietung erhalten, die Musik zerfällt nie in ihre Einzelteile.
Bei meinen Testscheiben entdecke ich dann immer wieder Details, die Dank des Atlas schlicht richtiger und natürlicher rüberkommen – ja ich, weiß sehr wohl, auf welch dünnen Eis ich mich mit solchen Formulierungen bewege. Wer kann schon wissen, wie es an einem Aufnahmeort wirklich geklungen hat? Und was hat die Mikrofonauswahl und die Nachbearbeitung daraus gemacht? Und das sind gerade mal zwei von einigen Dutzend offener Fragen. Aber dennoch kann ich nicht anders, als zu festzustellen, dass mich das Lyra näher an das wirkliche Musikerlebnis heranbringt als andere Tonabnehmer.
Platte für Platte erschließen sich die subtilen Vorzüge des Atlas, mich hat das Lyra voll und ganz überzeugt und ich könnte hier eigentlich das Schreiben einstellen. Wenn nicht Thomas Fast, der Chef des deutschen Lyra-Vertriebs, meine Tonarmwahl in Frage gestellt hätte. Er meinte, der Thales sei ein wenig zu leicht. Da sich mir alle bisher geschilderten Qualitäten mit dem Atlas im Headshell des Simplicity erschlossen haben, bin ich geneigt, den Einwand zu ignorieren. Doch beim Blick auf die Angaben zur Nadelnachgiebigkeit beschließe ich, dann doch noch eine größere Umbauaktion auf dem LaGrange zu beginnen.
Die hätte ich mir auch schenken können: Im Kuzma 4point klingt das Lyra minimal heller, was auf eine geringere Kabelkapazität schließen lässt. Für die Wahl der Abschlussimpedanz in Korrelation zur Kabelkapazität finden sich übrigens ausführliche Hinweise in der Bedienungsanleitung des Atlas. Aber auch mit höherem Abschlusswiderständen ist dem für meinen Geschmack minimal zu silbrigen Klang nicht gänzlich beizukommen. In den Punkten Raum und Rhythmus nehmen sich Simplicity und Kuzma so gut wie nichts. Lautstärkesprünge inszeniert der Kuzma einen Hauch effektvoller. Aber obwohl es mir ansonsten in dieser Disziplin selten genug sein kann, ziehe ich hier die ein wenig gelassenere Herangehensweise des Thales vor. Die Unterschiede, die ich hier beschreibe, liegen wohlgemerkt im Bereich von Nuancen. Da sollte letztlich persönlicher Geschmack entscheiden: Seine Ausnahmestellung macht das Lyra sowohl im Kuzma als auch im Thales deutlich.
Und wie verhält sich das Atlas zum Olympos? Ein wenig wie Wahrheit zur Schönheit: Das Olympos wirkt neben dem neuen Topmodell wie ein wirklich sehr charmanter Schmeichler, der es mit der absoluten Wahrheit nicht hundertprozentig genau nimmt. Aber manchmal braucht man eben auch ein paar Komplimente, selbst wenn man erahnt, dass sie nicht ganz der Realität entsprechen. Letztlich kann die Alternative – ganz abgesehen von der Liefersituation des Olympos – nicht lauten, Atlas oder Olympos. Allen Oligarchen sei geraten, beide zu erwerben!
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