Am meisten unterscheidet sich das Atlas aber von allen anderen Tonabnehmer inklusive der übrigen Lyra-Modelle in seinem mechanischen Aufbau. Im Lautsprecherbau sind Konstruktionen mit parallelen Wänden schon seit Jahre verpönt, da sie stehenden Wellen Tür und Tor öffnen. Und wer es sich leisten kann, baut sich einen Hörraum mit so wenig parallelen Flächen wie möglich. Dass auch in einem festen Körper wie einem Tonabnehmergehäuse eine auf die Längsebene bezogen symmetrische Form Resonanzen begünstigt, dürfte jedem sofort einsichtig sein. Dennoch hat es bis heute gedauert, bis jemand auf die Idee kam, den für die Montage des Generators nötigen Systemkörper asymmetrisch zu konstruieren. Fastaudio, der deutsche Lyra-Vertrieb bescheinigt dem Atlas dann auch, der „erste unsymmetrische MC-Tonabnehmer überhaupt“ zu sein – meines Wissens nach völlig zu Recht. Aber Lyra hat nicht nur unterschiedliche geometrische Formen für die Flächen auf der rechten und linken Seite des System gewählt, sondern auch darauf geachtet, dass deren Abmessungen keine ganzzahligen Vielfachen voneinander sind.
Der Nadelträger mit seinem kurzen Spanndraht ist direkt im Systemkörper befestigt, so dass eine möglichst direkte Ableitung der bei der Rillenabtastung entstehenden Schwingungen zum Tonarm stattfinden kann. In der Produktinformation führt Lyra aus, dass diese Ableitung auch dadurch optimiert wird, dass die asymmetrische Befestigung des vorderen Ringmagneten – wie man an der goldfarbenen Schraube erkennt – nun nicht mehr in einer Line mit dem Nadelträger und seinem Spanndraht liegt. Der besseren Energieableitung soll auch die Verkleinerung der Kontaktfläche zum Headshell dienen: Bei gleichem Anzugsmoment der Montageschrauben und der nun kleineren Fläche wird das Atlas mit mehr Druck an das Headshell gepresst.
Diese spezielle Fräsung des Kontaktzone führt auch dazu, dass das Atlas ein klein wenig höher baut als das Olympos. Ein schneller Wechsel der beiden, der im Thales Simplicity Tonarm mit seinen austauschbaren Systemträgern bei identischer Höhe sowie gleichem Gewicht und derselben Auflagekraft ansonsten möglich wäre, kommt also leider nicht in Frage. Aber es bedarf keines direkten Vergleichs, um die Fähigkeiten des Atlas zu erkennen: Es agiert völlig frei von jeglichen Effekten. Und trotz dieser vermeintlichen Unauffälligkeit ist einfach alles da: Details in Hülle und Fülle, ganz selbstverständlich präsentiert und bestens in den musikalischen Fluss integriert. Eine lediglich durch die Qualität der jeweiligen Platte begrenzte Dynamik, absolut mühelos und dennoch weit ab von jeder Kraftmeierei. Eine strahlende Palette von Klangfarben, ohne einen Hauch von Euphonie. Bei den entsprechenden Scheiben weite, stabile Räume mit plastisch wirkenden, präzise fokussierten Instrumenten. Nennen Sie die Disziplin, die für Sie bei einem Tonabnehmer die wichtigste ist: Seien Sie gewiss, dass das Atlas auch hier Spitzenleistungen erbringt – ohne damit hausieren zu gehen.
Ich habe lange Zeit keine Boxen der obersten Liga mehr getestet. Aber vor fünf bis zehn Jahren konnte ich bei Lautsprechern einen ungemein beruhigenden Trend entdecken: Wenn ein selbst etwas weiter gesteckter finanzieller Rahmen die Konstrukteure nicht einschränkte, ging es bei vielen Herstellern in ein und dieselbe Richtung: Es schien eine Art kollektives Empfinden zu geben, was erstrebenswert ist: Ich hätte mit den größeren Modellen von Avalon, Verity, Ayon, Consensus oder Kharma – um nur einige zu nennen – ebenso glücklich werden können wie mit meiner LumenWhite. In den unteren Preisklassen, wo man gezwungen ist, Kompromisse einzugehen, basteln sich die meisten Entwickler eine Philosophie, nach der dann einer der Teilbereiche ganz besonders in den Fokus gerückt wird. Um niemanden weh zu tun, nenne ich als Beispiel einen Lautsprecher, der schon lange nicht mehr produziert wird, mit dem ich aber lange Jahre lang sehr zufrieden Musik gehört habe: die Roksan Darius. Sie wirkte ungemein dynamisch und schnell, wies in puncto Tonalität aber mehr als das ein oder andere Defizit auf. Heute schätze ich einen bezahlbaren Schallwandler um so mehr, je wenn er in allen Teilbereichen Leistungen auf ein und demselben Niveau bringt und nicht versucht, in einer speziellen Lieblingsdisziplin zu brillieren.
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