Beim Vergleich verschiedener Aufnahmetechniken bestätigte sich der Eindruck, dass die SLS besonders Musik, die in tatsächlich akustisch mitwirkenden Räumen mit wenigen Mikrofonen aufgenommen wurde, in eindringlicher Authentizität wiederzugeben vermag.
Dieses Potenzial zu räumlicher Tiefenstaffelung und Loslösung unterscheidet sie grundlegend von der Philosophie manch anderer Entwickler und Musikliebhaber, die eine „anspringende“ Abbildung noch möglichst vor dem Lautsprecher vorziehen. Eine Audio Note AN/E etwa, die zur Bassunterstützung eine wandnahe Positionierung nützen kann, vermittelt den Röhrenklang einer guten Audio Note Kette bevorzugt durch eine nach vorne gerichteten Abbildung. Wie bei vielen Aspekten der Musikwiedergabe geht es hierbei um subjektive Präferenzen, beide Arten der Darstellung haben ihren spezifischen Reiz und ihre überzeugten Anhänger.
Bei Hördistanzen über zweieinhalb Meter ergibt sich eine interessante Erfahrung. Audiophile Aufnahmen, die wiederum mit wenigen Mikrofonen möglichst „natürlich“ realisiert wurden, klingen aus meiner Sicht über die SLS realistischer als über herkömmliche Lautsprecher. Meine Vermutung geht dahin, dass diese Aufnahmen den Aufnahmeraum meist mit einbeziehen oder ihn zumindest nicht nachträglich verändern wollen. Boenicke geht davon aus, dass eine ausgeprägte Räumlichkeit, die auf einer Aufnahme vorhanden ist, wiederum eines Raumes, des Hörraumes bedarf, um den speziellen Charme dieser Räumlichkeit wiederzugeben. Der Hörraum müsste möglichst homogen mit einbezogen werden, was bei Direktstrahlern prinzipbedingt schwerer möglich ist.
Hört man mit der SLS bei größeren Hördistanzen etwa elektronische Musik, so ist das Einbeziehen des Hörraumes durch die seitliche Abstrahlung gewöhnungsbedürftig. Bei dieser Musikrichtung wünscht man sich Direktschall und somit direkte Energie, die beim Hörer ankommt. Das vertraute, anspringende Klangbild einer Yello Aufnahme etwa rastet sofort wieder ein, wenn die Hördistanz verringert wird – aber auch hier werden plötzlich Klangelemente, die von Meier und Blank offenbar deutlich hinter den Hauptmix platziert wurden, tatsächlich auch in dieser dazugewonnenen räumlichen Dimension abgebildet. Freunde von orchestraler Musik finden auch relativ unabhängig von der Hördistanz ihre Erfüllung, besonders dann, wenn man die Breitbandchassis nach außen dreht, wenn also die Seitenwände gezielt als Reflektionsfläche miteinbezogen werden. Dann werden Effekte erfahrbar, deren Herbeiwünschen bei der Entwicklung des Surround-Sounds Pate gestanden haben mag. Die Musik umgibt den Hörer, erfüllt auch den Raum hinter der Sitzposition mit Leben. Dies hat weniger mit klassischer HiFi-Stereowiedergabe zu tun, entspricht aber auf erstaunliche Weise der Erfahrung in einem akustisch mitwirkenden Konzertsaal.
Die SLS-Tonalität und Klangfarben sind über jeden Zweifel erhaben, hier geht das Konzept von Boenicke Audio sofort wahrnehmbar auf. Wie lässt sich der klangfarbliche Unterschied zwischen der Massivholz-SLS und den größtenteils aus MDF hergestellten Großserienlautsprechern beschreiben? Der Meister greift zu einem Bild:
„Stellen sie sich zwei Räume vor. Der eine hat kein echtes Tageslicht und ist mit einer kühlen Leuchtstoffröhre erhellt. Der andere Raum hat ein grosses Fenster, das Sonnenlicht eines wolkenlosen Nachmittags strömt herein. Es können in beiden Räumen dieselben Gegenstände sein, und doch erscheinen sie alle – und die Räume selber – anders in ihrer Ausstrahlung“.
„Es geht hier aber nicht um besser oder schlechter, um richtig oder falsch?“
„Ich will hier nicht behaupten, das eine sei besser als das andere, aber es gibt da einen Unterschied in meiner Wahrnehmung der Umgebung. Ich fühle mich im Raum mit Fenster erheblich wohler und heiterer. Raum und Gegenstände erscheinen in einer Schwingung, die mir gut tut.“
„Die SLS, der Wohlfühllautsprecher für LOHAS?“ (Anm. “lifestile of health and sustainability”)
„Ein Ton gespielt über die SLS ist das Sonnenlicht fürs Ohr“ (lacht).
„Woran genau kann man das festmachen?“ (sehr ernst).
„Je simpler eine Musik ist, nehmen wir einen einzelnen gestrichenen Ton eines Cellos, desto essentieller ist es, dass der Ton stimmt. Dies wiederum ist untrennbar mit echtem Auflösungsvermögen in der Elektronik der Kette, aber auch jeden Kabels und jeden passiven Bauteils im Lautsprecher verbunden. Deswegen legen wir so grossen Wert auf die Qualität jedes einzelnen Bauteils – ja wir überprüfen sogar die Orientierung (auch bei den Treibern selber!), in welcher das Bauteil in den Signalweg eingeschleift wird.“
„Mir fällt auf, dass im Gespräch auch andere Wahrnehmungskanäle als die akustische Erfahrung über das menschliche Gehör herangezogen werden, um auf die Besonderheit der Entwicklungen von Boenicke Audio hinzuweisen.“
„Wir arbeiten daran, dass der Ton als dreidimensionales Gebilde im Raum optisch wahrnehmbar ist. Er soll, um im obigen Bild zu bleiben, dasselbe Licht abstrahlen wie das Original. Wenn das stimmt, folgt bei klangfarbenschöner Musik sofort eine körperliche Reaktion. Der Körper muss sich nicht wehren.“
„Der Körper lügt nicht … Welche Konzerterfahrungen beziehungsweise welche Art von Musik ziehen Sie für Ihre Arbeit heran?“
„Den Gang in einen Konzertsaal kann nichts ersetzen. Ich kann mir Klangfarben in Form eines bildlichen Farbtones beinahe fotografisch über lange Zeit merken.“
„Können Sie uns ein Beispiel nennen?“
„Bei Arvo Pärt wird deutlich, wie sehr Musik von der Entdeckbarkeit feiner und feinster Klangfarbenunterschiede, ja vom in echter Musik immanenten Licht, der Klangfarbe an sich, lebt. Bei Pärts meist sehr getragen und langsam gespielten Werken bleibt genügend Zeit, in Schwingungen und Klangfarben einzutauchen. Dann tut sich ein Universum an dichtesten Sinneseindrücken auf, in dem sich Zeit und Raum tatsächlich manchmal verflüchtigen.“
Um die Eindrücke von Boenicke selbst nachzuvollziehen, empfiehlt sich eine sorgsame Auswahl möglicher Verstärkerkombinationen. Dies können qualitativ hochwertige Transistoren ebenso sein wie die guten alten Röhren, die gar keine Leistungsriesen sein müssen. Aus reiner Neugierde habe ich den Mittelhochtonbereich mit einer 8 Watt Sun-Audio 300B Röhre bestritten, was zu meinem Erstaunen leistungsmäßig für den Großteil der Musikauswahl genügte.
Man freut sich also über Klangfarben von scheinbar echten Instrumenten und zieht intuitiv alte Aufnahmen aus der Plattensammlung hervor. Die Freude an der natürlichen Wiedergabe von Stimmen bestimmt ebenso die Musikauswahl wie die Neugierde über die Entdeckbarkeit unterschiedlicher Abmischungsvorlieben der Toningenieure.
Tatsächlich finden sich Boenicke Audio Lautsprecher ob ihrer Wiedergabetreue in Tonstudios, dann allerdings mit stattlichen Chassisdurchmessern und geradezu brachialen dynamischen Fähigkeiten. Als ich einem audiophilen Freund, der ob seiner Vorliebe für laute Musikwiedergabe alle paar Wochen einen durchgebrannten Widerstand in seiner Frequenzweiche ersetzen muss, einen Studio Prototypen von Boenicke Audio vorführte, wurden derart hohe Lautstärken erreicht, dass der gute Mann erstmalig hinter seinem Sofa Zuflucht suchte.