Audio Video Show Warschau 2022 – Teil 2

01.11.2022 // Finn Corvin Gallowsky

Polnisches High End lebt, bezahlbares HiFi gleichermaßen. Während Dirk Sommer beim ersten Besuch der Audio Video Show Warschau im Jahr 2014 polnisches High End vermisste, gestaltete sich die diesjährige Show sehr ausgewogen. Durch die Präsentationen verschiedenster Preisklassen blieben meine Messetage durchgängig abwechslungsreich.

Für mich war es dieses Jahr der erste Besuch der Audio Video Show Warschau. Ein Besuch, auf den ich mich schon lange gefreut hatte. Immer wieder ließ sich in Gesprächen mit Birgit und Dirk, die seit 2014 regelmäßig die Messe besuchen, und Herstellern raushören, dass die AVS etwas Besonderes ist. Tatsächlich hat die Show einen ganz eigenen Charakter. Gleichermaßen erlebe ich die bekannte Geschäftigkeit und das Gedränge einer Hotelmesse im Hotel Sobieski, aber auch die angenehme Geräumigkeit des Golden Tulip Hotels, das nach der Renovierung mit viel Charme aufwartet, und die Weitläufigkeit des hochmodernen Nationalstadions. Die räumlichen Gegebenheiten lassen mich folglich in einer gewissen Vertrautheit wandeln, obwohl es durchaus eine Herausforderung war, mit dem Shuttle zwischen den an derselben Kreuzung gelegenen Hotels und dem Nationalstadion zu pendeln, um alle Räume zu besuchen, verschiedene Termine und einen guten Moment abzupassen, mit den jeweiligen Vertrieben oder Herstellern ins Gespräch zu kommen. Aufgrund des konstant hohen Besucherstroms und des großen Interesses an HiFi und Musik gestaltete sich dies nicht immer ganz einfach. Audiowiedergabe scheint mir nach den auf der Messe gesammelten Eindrücken in Polen noch einen anderen, besonderen Stellenwert zu haben. Derart angeregte und Begeisterung versprühende Diskussionen über HiFi bin ich von deutschen Messen nicht gewohnt. Besonders eindrücklich manifestierte sich dies in dem Workshop, in dem Michael Vorbau, der Leiter der Tonband-Gruppe der Analog Audio Association, gemeinsam mit dem Kollegen Wojciech Pacuła vom Magazin High Fidelity Tonband-Kopien vorstellte, die von Produktionen des Labels Sommelier du Son auf Kundenwusch erstellt wurden. Im Raum von Ayon Audio, Lumen White und Siltech führten Birgit Hammer-Sommer und Dirk Sommer dabei unter Messebedingung und daher ohne wissenschaftlichen Anspruch Hörvergleiche zwischen Viertel-Zoll-Tonband in 19 und 38 Zentimetern Abspielgeschwindigkeit pro Sekunde und zwei Platten vom selben Master durch, von denen eine kryogen behandelt wurde (Hyperlink: https://www.hifistatement.net/feuilleton/item/3379-ein-besuch-bei-cooltech). Die Demonstrationen lösten eine derart explosive Diskussion aus, dass Wojciech Pacuła mit dem Übersetzen ins Englische überhaupt nicht hinterherkam.

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Ähnlich angeregte Diskussionen konnte ich auch in einigen Hörräumen miterleben. Erfreulich war für mich dabei der respektvolle Umgang miteinander. Zumindest soweit ich aus dem Kontext schließen konnte, ging es nicht ums „Recht haben“, sondern einen ehrlichen, interessierten Austausch von Argumenten, aber auch kontrastierenden Auffassungen. Neben dieser Auffälligkeit konnte ich außerdem feststellen, dass das Publikum der Messe insgesamt jünger war als bei vergleichbaren Messen in Deutschland. Nicht nur schien der Altersdurchschnitt allgemein niedriger, sogar sehr junge Besucher, teilweise deutlich unter 20, waren nicht nur vereinzelt anzutreffen. Leider spiegelte sich der Altersdurchschnitt überwiegend nicht in der Musikauswahl der Vorführungen wider. Neben den audiophilen Klassikern, von denen ich glücklicher- und überraschenderweise noch eine Menge ertragen kann, wurde viel dahinplätschernder Vokaljazz und nichtssagendes Popgedudel gespielt. Dynamisch packendes Material war für mein Gefühl deutlich im Hintertreffen. Das könnte daran gelegen haben, dass noch überdurchschnittlich viel von Platte und CD vorgeführt wurde. Natürlich hat dies auch einen besonderen Reiz, aber bei Streaming-Vorführungen gerät die Vielfalt meiner Erfahrung nach deutlich größer. Eine gewisse Tradition scheint vom polnischen Publikum geschätzt zu werden und gewünscht zu sein. Viele höherpreisige polnische Hersteller boten dementsprechend ausladend große Systeme mit riesigen Tieftontreibern an. Die Anzahl an heimischen Herstellern, die gleich sämtliche Komponenten aus einer Hand anboten, überraschte mich. Allgemein war ein gewisser Hang zu HiFi im Vintage-Stil der 70er, 80er und frühen 90ern zu erkennen.

Interessanterweise ließen sich die Vorführungen selbst nicht wirklich kategorisieren. Mal fielen sie in akustisch stark behandelten Räumen weit unter die Erwartungen ab, in anderen Fällen klangen „Monstersysteme“ in kleinen Räumen um ein Vielfaches besser als vermutet. Teilweise spielten ganz simple, nur aus wenigen Komponenten bestehende Anlagen, Materialschlachten in anderen Räumen an die Wand. Die Vielfalt an vorgestellten Komponenten war durchgängig groß. Gleichzeitig ließen sich nicht nur heimische Kleinhersteller finden, sondern auch deutlich mehr Hersteller aus dem Baltikum oder beispielsweise Ungarn und Serbien als auf deutschen Messen. Oft haben sich mehrere Hersteller aus einem Land zusammengetan, um einen Raum zu mieten. Besonders im Sobieski Hotel ging es bei weitem nicht nur um die teuersten Top-Produkte, sondern viele sehr erschwingliche Produkte konnten mich für sich gewinnen. Außerdem war ich überrascht, wie viele polnische Hersteller dann doch einen kleinen Vertrieb oder einige kooperierende Händler in Deutschland aufweisen konnten oder auch direkt nach Deutschland verkaufen. Für Experimentierfreudige, die auf der Suche nach individuellem, aber bezahlbarem HiFi sind, kann sich diese Messe als sehr lohnend erweisen. Mal ganz davon abgesehen, dass auch Warschau einen ausgedehnten Besuch wert ist, ist es die Messe allemal.

In diesem Artikel finden Sie eine subjektive Auswahl von Marken und Produkten, die mich angesprochen haben. Die recht umfangreiche, im Nationalstadion eingebundene Kopfhörermesse habe ich leider stark vernachlässigt, da zum einen die übrige Messe unheimlich viel zu sehen bot und ich mich andererseits mobilem Audio bereits auf der CanJam 2022 (Hyperlink: https://www.hifistatement.net/event/item/3374-canjam-london-2022) gewidmet habe.

 

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