CanJam London 2022

04.08.2022 // Finn Corvin Gallowsky

Hybrid-In-Ears mit verschiedenen Treibern sind aktuell sehr in Mode. Für rein dynamische oder Balanced-Armature-IEMs scheint sich kaum ein Besucher zu interessieren. Für viele gelten sie einfach nicht als Flaggschiff-Material. Dabei konnte man auf der Messe selbst feststellen, dass weder Anzahl noch Art oder Zusammenstellung verschiedener Treiber einen Rückschluss auf die Wiedergabequalität des fertigen Produkts gibt. Interessant, dass von vielen Besuchern trotzdem sofort Rückschlüsse gezogen werden. Besonders im IEM-Sektor scheinen Trends eine große Rolle zu spielen. Der Thieaudio Monarch MkII (1.000 Euro) beispielsweise wird bereits als gängiger Standard gehandelt. Er vereint einen dynamischen Treiber, sechs Balanced Armature Treiber von Knowles und Sonion und zwei elektrostatische Treiber von Sonion zu einem Hörer. Diese Konfiguration wird weithin als Tribrid bezeichnet. Der Monarch befand sich am Stand von Elise Audio, einem britischen IEM-Shop, quasi dauerhaft in den Ohren der Besucher, deshalb habe ich ihn auch nicht fotografiert. Es ist sicher kein schlechter Hörer, aber für meinen Geschmack überhyped – meine persönliche Erwartungen hat er leider verfehlt. Der fotografierte ANIMA des polnischen Herstellers Lime Ears trifft diese schon eher. Mit insgesamt dreizehn Treibern in sechs Wegen ist er alleine technisch beeindruckend. Bei einem Preis von 3.500 Euro sollte man sich aber sicher sein, dass seine Abstimmung den persönlichen Geschmack zu einhundert Prozent trifft. Außerdem ist er nur als Universal verfügbar und passt nur in große Ohren wirklich gut. Der Lime Ears Pneuma hingegen ist sowohl als Universal (1.800 Euro) als auch als Customvariante (ab 1.800 Euro) erhältlich.

 

Bei Noble mache ich eine ähnliche Erfahrung. Alle drei gehörten Modelle Sultan (2.175 Euro), Kublai Khan (1.950 Euro) und Kadence (1.200 Euro) unterscheiden sich in ihrer Wiedergabequalität kaum. Ich würde alle drei als absolute Meister der räumlichen Wiedergabe bezeichnen. Dies scheint eine Spezialität von Noble zu sein. Trotzdem wird überwiegend der Sultan gekauft. Mit einem dynamischen, 4 Balanced Armature und 2 elektrostatischen Treibern erfüllt er den aktuellen Trend einer Tribrid-Konfiguration. Ist das schon Kaufgrund genug? Er spielte für meinen Geschmack zwar noch sauberer und technisch perfekter als der Kublai Khan, aber letzterer hat mich durch seine einhüllende Musikalität nicht weniger begeistert. Er verfügt zusätzlich zu seinem dynamischen Treiber, über vier BA-Treiber, einen Piezo super tweeter und einen Knochenschallsubwoofer, dessen Integration extrem gut gelungen ist. Der Bass bleibt trotzdem schnell und beweglich, bei gleichzeitig erhöhter Körperhaftigkeit. Der Kadence hat sich mir in der Kürze der Messehörzeit für meinen Geschmack als einer der besten reinen BA-Treiber-Hörer präsentiert, die mir bisher untergekommen sind. Seine Räumlichkeit und Luftigkeit spielen auf einem ähnlich hohen Niveau wie die anderen beiden Nobles, der Rest der Abstimmung ist ebenfalls über alle Zweifel erhaben und zu meiner Freude linearer als viele andere Modelle. Der Preis von 1.200 ist dabei schon fast als Schnäppchen zu bezeichnen. Leider komme ich mit den sehr großen Gehäusen der Nobles wieder nicht richtig gut klar. Zum Glück fertigt Noble auch angepasste Ausführungen.

 

Jomo Audio aus Singapur hatte für meine Ohren, neben den Modellen von INEAR aus Deutschland, mit Abstand die am besten sitzenden Universals. Gründer Joseph selbst war aus Singapur angereist und berichtete mir, dass die Form der IEMs aus dem Mittelwert aller je genommen Abdrücke entstanden ist. Das sagen viele andere Hersteller auch, trotzdem ist der Sitz der Jomos überragend. Vielleicht haben in der Vergangenheit einfach besonders viele Kunden mit kleineren Ohren bestellt. Ihr Flaggschiff für 2022 ist der GT600 Gran Tourer. Dass er auch über eine Tribrid Konfiguration verfügt, ist nicht verwunderlich. Er kostet 3.500 Dollar zuzüglich Einfuhrabgaben. Ein ausgestellte Prototyp verfügt zusätzlich zu drei BA-Treibern über gleich zwei sogenannte Haptic Drivers, Knochenschalltreiber, die nicht nur im Bassbereich aktiv sind. Dies bescherte ihm eine Charakteristik, die mich eher an Lautsprecherwiedergabe erinnert. Er soll ungefähr zwischen 800 und 1.000 Dollar kosten.

 

Etymotic macht sich in Deutschland aktuell rar. Ihr erster Multi-BA IEM Evo ist meines Wissens nach nur als Import erhältlich. Ein neues Modell, der ER-X, ein ER4-XR im Gehäuse eines Evos, ist in Zusammenarbeit mit Drop entstanden und wird auch dort erhältlich sein. Drop ist ein amerikanisches Unternehmen, das Partnerschaften mit verschiedensten Herstellern eingeht und deren Produkte mit dem Feedback ihrer Community anpasst und dann in exklusiven Drop-Ausführungen anbietet. Für den deutschen Markt bedeutet das leider ebenfalls, dass man den ER-X bei Interesse selbst importieren muss. Das europäische Versandzentrum von Drop wurde leider vor einigen Jahren geschlossen.

 

Die chinesische Marke mit dem etwas klobigen Namen Letshuoer hat mich sehr überrascht. Ihre Wurzeln sind der OEM-Markt. Seit 2016 treiben sie ihre eigenen Entwicklungen voran. Leider sind die Vertriebswege für Deutschland wie bei so vielen chinesischen Marken noch recht dornig und die Importkosten müssen vom Käufer getragen werden. Ich hoffe, dass sich dies bald ändert. Die Tunings sind alle extrem gut gelungen, die Preise weniger abgehoben und die Verarbeitung ist beeindruckend gut. Mit dem S12 Magnetostaten (165 Euro exklusive Zoll und Steuer) dürfte Letshuoer eine der Einstiegsdrogen in die In-Ear-Welt schlechthin im Portfolio haben. Der EJ07, ihr Aushängeschild, ist gleich in mehreren Varianten verfügbar. Die Tribridausführung für etwa 1.100 Euro inklusive Zoll und Steuern hat ein aufwendiges Gehäuse aus medizinischem Kunstharz aus der EU, und die Abstimmung ist extrem gut gelungen. Sehr ausgewogen und dynamisch, mit großer Bühne, viel Luftigkeit und tollen Harmonics. Der EJ07M ist eine günstigere massengefertigte Variante für ungefähr 800 Euro zuzüglich Importkosten mit einem unglaublich hübschen Faceplate, und der rote EJ07M „Kinda Lava“ hat eine leicht basslastigere Abstimmung. Es würde Letshuoer meiner Meinung nach gut tun, einen direkten Ansprechpartner für den deutschen Markt zu finden, schließlich sind sie eine der ernstzunehmendsten Marken aus China. Damit könnte auch die Bestellung von Custom Fits deutlich einfacher werden.

 

Rupert Neve war in der Pro-Audio-Welt ein Star und hat durch sein Know-How ein echtes Vermächtnis hinterlassen. Mit dem Fidelice Precision DAC für 5.650 Euro und dem Precision Headphone Amp und Phono Pre-Amp für jeweils 1.300 Euro kommt jetzt auch die HiFi-Audiowelt in den Genuss seiner exquisiten Schaltungen. Der Sennheiser HD 6XX verfügt zwar über einen geschmeidigen, äußerst angenehmen Frequenzgang, ist in Sachen Bühnendarstellung aber leider so gar nicht gesegnet. Welche große Bühne ihm die Rupert Neve Kopfhörerverstärker dann doch zu entlocken wussten, kommt einem Ritterschlag für ihre Schaltungen gleich.

 

Die Submarke Sondcore des chinesischen Herstellers Anker, der hauptsächlich für seine Powerbanks und Ladegeräte bekannt ist, zählt nun wirklich nicht zum High End. Trotzdem ist die Neugier der Besucher groß. Nicht zuletzt, weil sich Senior PR Adam Weissman zum Ziel gesetzt hat, keines der ausgestellten Produkte wieder mit nach Hause zu nehmen. Deshalb gibt es mehrere über den Tag verteilte Gewinnspiele. Damit ist Soundcore nicht alleine. Viele andere Hersteller haben ebenfalls kleine Gewinnspiele für ihre Produkte organisiert, reichen aber nicht an die beharrliche Professionalität beim Verschenken von Soundcore heran.

 

Astell & Kern begeistert mich mit der Fähigkeit, alle Entwicklungen absolut auf den Punkt zu bringen. Den Player A&norma SR25 MKII (800 Euro) und den in Zusammenarbeit mit Campfire Audio entstandene Pathfinder (2.200 Euro) würde ich bereits als Endgame bezeichnen. Dies zeugt von der enormen Kompetenz beider Hersteller. Der Kann Max mit gleich vier ES9038Q2M-Wandler-Chips für 1.500 Euro wäre ein noch angemessenerer Spielpartner für den Pathfinder. Mit dem Dongle-DAC AK HC2 (230 Euro) und dem in Japan produzierten Zero 1 (750 Euro) bietet Astell & Kern ein deutlich günstigeres HiFi-Erlebnis auf nahezu gleich hohem Niveau.

 

Bei 64 Audio korreliert das Hörerlebnis unmittelbar mit der Anzahl der Treiber. Der U18t mit 18 BA-Treibern begeisterte mich mit einer unheimlich natürlichen Wiedergabe – insbesondere bei gestrichenen Saiteninstrumenten. Er ist mit 3.300 Euro aber auch dementsprechend teuer. Der 18t ist sowohl als Universal als auch als Custom erhältlich. Die meisten Modelle sind ventiliert und können mit verschiedenen Filtern versehen werden. Die mögliche Dämpfung beträgt 10, 15 und 20 Dezibel und hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Basswiedergabe. Je geringer die Dämpfung desto luftiger und zahmer die Basswiedergabe.

 


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