Die Auswahl der nächsten Scheibe hatte dann nicht das geringste mit dem Tessellate zu tun. Wegen kurzzeitiger Probleme mit der Tieftonwiedergabe in meinem Hörraum wollte ich sichergehen, dass nach den entsprechenden akustischen Veränderungen keine unerwünschten Resonanzen mehr auftreten. Bevor ich den aktuellen Hörraum umzog, hatte ich die Interaktion zwischen Raum und Lautsprecher immer mit Gary Peacocks Album December Poems beurteilt: Auf vier der sechs Titeln ist allein der Bassist zu hören. Auf zweien begleitet ihn Jahn Garbareck auf dem Saxophon. Bei „Snow Dance“ ermöglicht es die Studiotechnik, dass Gary Peacock mit sich selbst im Trio spielt – Tieftonenergie im Überfluss also. Die war aber weder für meinen Raum noch für das Tessellate zu viel des Guten: Dem Ti-S gelang es mühelos, die drei Viersaiter rechts, links und in der Mitte präzise von einander zu differenzieren, ohne ihnen auch nur ein Hauch ihrer wohligen Wärme zu nehmen. Bei „Winterlude“ und „December Greenwings“, den Stücken, in denen Jan Garbarek für Abwechslung sorgt, zucke ich jetzt beim ersten Einsatz des Saxophons nicht mehr zusammen. Obwohl die Transienten echter wirken, als ich sie je zuvor von dieser LP gehört habe, kippt der Ton nicht ins Unangenehme. Das Tessellate verbindet Schnelligkeit und ein hohes Maß an Energie mit stimmiger Tonalität: Da gibt es nicht den Anflug von Rauigkeit oder Schärfe. Sehr schön.
Zur Zeit, als ich die December Poems auch wegen ihrer Musik gerne hörte, lag auch Dave Grusins Mountain Dance häufig auf dem Plattenteller, als Japan-Pressung mit einem goldenen „JVC Digital“-Aufkleber auf dem Cover. Ich muss es dem Tessellate und mir ja nicht zu einfach machen, und nur aktuelle Lieblingsscheiben aussuchen. Hier also eine Seite lang Synthesizer-dominierter Jazz-Rock aus den 80-ern: Eine fette Bass-Drum, eine knallige Snare, schnelle Piano-Läufe, Synthie-Flächen, ein funky E-Bass und ein feines Gitarren-Solo – einfach Gute-Laune-Musik mit einem Touch Nostalgie. Das Tessellate bringt die Instrumente mit dem nötigen Knack rüber, spielt rhythmisch auf den Punkt und sorgt einfach für Spaß ohne jeglichen audiophilen Anspruch. Ein kurzes Highlight: das E-Bass-Solo von Marcus Miller auf „Friends And Strangers“, das gänzlich ohne Slappen auskommt.
Wo ich mich gerade mit digital aufgenommenem Jazz-Rock schon ein wenig aus meiner Komfortzone bewegt habe, gehe ich gleich noch einen großen Schritt weiter und wähle eine LP mit einer Frauenstimme – wer mich ein wenig kennt, weiß, dass mir das alles andere als leicht fällt. Die letztjährige Neuauflage der ATR-Kultscheibe Esther liegt auf dem Teller des LaGrange, und das Tessellate reproduziert Esther Ofarims Stimme so nuancenreich, mal kraftvoll und mal fast nur gehaucht, dass ich nach über 40 Jahren zu begreifen beginne, warum man sich die Scheibe unabhängig vom damaligen audiophilen Hype zulegen mqg. Das Panning der Stimme auf verschiedene Seiten und die von Titel zu Titel wechselnden Begleitungen werden zwar weiterhin verhindern, dass dieser Klassiker zu einer meiner Lieblingsscheiben wird. Doch Platte und Tessellate verwöhnen einen mit den vielfältigen Klangfarben des Kammerorchersters der Münchener Philharmoniker und einer so präzisen Artikulation der Stimme, dass die Aufnahme für alle, die Gesang nicht so ablehnend gegenüberstehen wie ich, ein Genuss sein dürfte. Ich hingegen bin dem Ti-S dafür dankbar, dass ich diese eine Plattenseite erstmals völlig stressfrei und entspannt hören konnte. Für mich ein Riesenfortschritt.
Doch nun zurück in Wohlfühlgefilde und zwar in das Auditorio Stello Molo, in dem Carla Bley, Steve Swallow und Andy Sheppard „Life Goes On“ spielten: Der Flügel erklingt gewichtig und sonor im großen Saal. Das Timing des Intros spricht einen sofort an und macht absolutes Stillsitzen unmöglich. Der E-Bass hat nur eine paar Takte, bevor das Saxophon weich, warm und melodiös einsetzt. Das Bass-Solo überrascht mich immer noch mit dem für Steve Swallows Sound ungewöhnlich satten Tiefton. Das ist einerseits sehr vertraut, lässt aber zwischen durch immer mal wieder aufhorchen, weil der Raum eine Nuance größer wirkt als bekannt, das Saxophon mit mehr Biss einsetzt und dennoch nicht nervt oder eine Note auf dem Klavier scheinbar eine Millisekunde verzögert erklingt, was den Groove intensiviert. Solche Kleinigkeiten sind es, die einen Weltklasse Tonabnehmer wie das Tessellate von einem hervorragenden High-End-Abtaster unterscheiden.
© 2024 | HIFISTATEMENT | netmagazine | Alle Rechte vorbehalten | Impressum | Datenschutz
Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.