Rufen wir uns noch einmal die im ersten Teil gezeigte, zeitliche Struktur eines so genannten Reflektogramms als Quasi-Wegbeschreibung in Erinnerung: Hier stellt sich die Frage, warum gerade diese frühe Zeit eine so große Rolle spielt.
Musik als Mischung verschiedener Töne stellt einen komplexen zeitlichen Vorgang dar, der wesentlich durch seinen „impulsartigen Charakter“ geprägt ist. Es handelt sich also nicht um einen mehr oder weniger statischen Vorgang, sondern um starke Wechsel innerhalb der Zeit – also andauernde Ein- und Ausschwingvorgänge. Unser Gehör ist bei der Analyse von akustischen Reizen sehr stark auf zeitliche, impulsartige Vorgänge konzentriert. Jeder kennt den Effekt, wie einschläfernd eine konstante Dauerberieselung wirkt. Kommt es hingegen zu größeren inhaltlichen Wechseln und Dynamik, sind wir plötzlich hell wach. Evolutionsbedingt reagiert unser Gehör auf diese Art von Signalen erheblich besser, da sie mit „lebenserhaltenden“ Informationen verknüpft waren und sind. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich Sprache, Gesang, Musik und Instrumente haben gezeigt, dass in einem Zeitfenster von ca. 0,02 bis ca. 20 Millisekunden für uns der wichtigste Teil an Informationen verborgen ist. So verdeutlichen akustische und holografische Tests an Instrumenten, dass die Ein- und Ausschwingvorgänge an den Instrumentenkörpern sehr schnell sind und in diesen Zeitbereich fallen.
Der zweite relevante Gesichtspunkt entsteht durch die Rahmenbedingungen während eines Konzertes selbst. Betrachten wir die in der Abbildung 1 dargestellte Situation für die Aufnahme eines kleinen Streichorchesters in einer Kirche.
Diese haben einen maßgeblichen Einfluss darauf, wie der Musiker sich selbst wahrnimmt und der Gesamtklang vom Mikrofon während einer Aufnahme aufgezeichnet wird. Insbesondere auch deshalb, weil jede Reflexion eine bestimmte Gewichtung durch das jeweilige Abstrahlverhalten der Instrumente besitzt. Statistisch für alle Räume betrachtet, stellt sich ein so genanntes „Direktschallpaket“ ein, das sowohl die Ein- und Ausschwingvorgänge der Instrumente als auch die frühen, ersten Reflexionen enthält.
Offenbar unterscheiden sich die Hörbedingungen für ein Publikum meist erheblich von denjenigen der Musiker, da es in aller Regel eine größere Entfernung zu den Objekten aufweist, die für die ersten Reflexionen verantwortlich sind. Unser Gehör mit seinen komplexen Verarbeitungsmechanismen ist erheblich besser in der Lage, diese Situation akustisch zu analysieren, als dies ein einfaches Aufzeichnungsmikrofon kann. Die Tonmeister befinden sich also immer im Spannungsfeld zwischen Nahbereich der Musiker und Raumklang! In jedem Fall besitzt das akustische Ereignis das genannte „Direktschallpaket“ mit essentiellen Informationen, die auf dem späteren Tonträger mehr oder weniger gut enthalten sind.
Übertragen wir dies nun auf den späteren Wiedergaberaum, so ergeben sich einige Schwierigkeiten. Aufgrund der im Vergleich zu den Originalschauplätzen deutlich geringeren Abmessungen befinden sich die Schallquellen (Lautsprecher) und Hörer in einer meist geringen Entfernung zu den Begrenzungsflächen des Raumes. Es entstehen nun neuerliche frühe Reflexionen. Diese weisen sehr geringe Laufzeiten und hohe Pegel gegenüber dem Direktschall von den Lautsprechern auf. In der Abbildung 2 ist diese Situation im Reflektogramm eines typischen Wiedergaberaums dargestellt.
Diese Störungen werden aber bei der Reproduktion vom Hörer als „Eigenschaft“ der Quelle interpretiert und nicht als Eigenschaft des Abhörraumes. Die Folge ist eine weitgehende Zerstörung der „Klangillusion“ des akustischen Originalgeschehens.