Dies gilt vor allem für das Hören von Tönen und Musik. So ist die klangliche „Qualität“, die man von einem Instrument oder aber auch von Wiedergabegeräten erwarten kann, nichts Absolutes, sondern etwas Raumabhängiges und gleichwohl Emotionales.
Wird die akustische Welt durch einen optischen Reiz ergänzt, erschließen sich uns neue Erfahrungen, die maßgeblich auch von diesen optischen Einflüssen gesteuert werden; der akustische Reiz tritt dabei etwas in den Hintergrund. Das Zusammenspiel beider Reize beeinflusst jedoch gemeinsam unsere Reaktionen, Bewegungen und Gefühle.
An dieser Stelle ist es besonders wichtig, die jeweiligen Situationen des Hörens klar zu differenzieren und zwischen dem „aktiven Hören“ einer realen akustischen Situation mit optischem Reiz und dem – nennen wir es einmal – „passiven Hören“ eines aufgezeichneten akustischen Ereignisses ohne den zugehörigen optischen Reiz zu unterscheiden. Für den letztgenannten Fall ist der Hörer rein auf den akustischen Reiz konzentriert und damit deutlich kritischer gegenüber dem Gehörten eingestellt. In der realen Situation nehmen wir einen Gesamteindruck war, bei dem der akustische Anteil deutlich „subtiler“ wird. Man kann also die These aufstellen, dass das „passive Hören“ eines auf Tonträger aufgezeichneten Ereignisses über eine Wiedergabekette „realistischer als die Realität“ wahrgenommen werden muss, um fehlende Informationen auszugleichen.
Dieses Phänomen kann jeder erfahrene Hörer dadurch überprüfen, dass er bei seinem nächsten Konzertbesuch einmal mit geschlossenen Augen die „Lokalisierbarkeit“ von einzelnen Musikern interpretiert und dies seinen Erwartungen im heimischen Umfeld gegenüberstellt.
Dass darüber hinaus die Unterscheidung der beiden akustischen Situationen notwendig ist, lässt sich an ganz einfachen physikalischen Fakten festmachen. Üblicherweise finden die Originalschauplätze musikalischer Veranstaltungen in einem äußeren Rahmen statt, der schon geometrisch ganz erheblich von denen einer späteren Reproduktion abweicht. Nehmen wir einmal beispielhaft ein Konzert in der Rudolf-Oetker-Halle in Bielefeld mit Ihrer sehr „gut klingenden“ Akustik.
Für die 1930 entstandene Oetker-Halle steht ein Raumvolumen von 10300m³ zur Verfügung. Ein normaler Wohn- oder auch Hörraum weist dem gegenüber meist gerade mal 50-100m³ Volumen bei deutlich kleinerer Grundfläche auf. Da es sich bei der Akustik eines Raumes um eine geometrie- und oberflächenabhängige Größe handelt, haben wir es mit völlig unterschiedlichen Rahmenbedingungen zu tun. Für den Klang eines Instrumentes sind hier neben dem direkten Schallanteil vor allem das räumliche Umfeld im Nahbereich und die sich aus der gesamten Raumgröße einstellenden Wegstrecken für den Schall verantwortlich. Als Hörer empfängt man also akustische Informationen vom Instrument selbst und der benachbarten Umgebung um den Musiker herum ebenso wie Schall aus verschiedensten Richtungen über sehr lange Distanzen im Raum reflektiert. Wir haben es mit einen räumlich dreidimensionalen und zeitlich differenzierten Effekt der Wahrnehmung zu tun.
Die schematisierte Ansicht dieses Vorganges (Abbildung 4) im großen Saal der Rudolf-Oetker-Halle soll diesen Vorgang visuell verdeutlichen. Zeichnet man ein akustisches Ereignisses in diesem Raum auf, so erhält man eine zeitliche Struktur mit einem absolut charakteristischen Verlauf. Dieser Verlauf kann als eine Art zeitliche „Wegebeschreibung“ in einem sogenannten Reflektogramm dargestellt werden und beschreibt einen Teil der akustischen Eigenschaften des Raums.
Um die akustischen Vorgänge in einem Originalraum zu beschreiben, unterscheidet man verschiedene Zeiträume. Je nach Entfernung des Hörers vom akustischen Geschehen stellt sich eine gewisse „Laufzeit“ bis zum Eintreffen des direkten Schalls beim Hörer ein. Nach diesem direkten Schall entstehen eine Reihe von klar erkennbaren Reflexionen von der Umgebung um die Schallquelle herum. Diesen zeitlichen Bereich rechnet man üblicherweise den ersten 50ms (tausendstel Sekunden) am Originalschauplatz zu. Im weiteren Verlauf wird das Eintreffen des Schalls beim Hörer immer stärker statistisch verteilt und man spricht vom Nachhall eines Raumes. Eine ganz besondere Bedeutung für den Klangcharakter eines Raumes nehmen aber die ersten 10-15ms nach Eintreffen des direkten Schalls ein. Sowohl die Wahrnehmung der Musiker von sich selbst, wie auch die Interpretation des Klanges der Instrumente vom Hörer werden in hohem Maße von der direkt benachbarten Umgebung in dieser frühen Zeitphase bestimmt.
Wird während eines Konzerts eine Aufnahme erstellt, zeichnet man diese komplexen akustischen Informationen „mehr oder weniger perfekt“ auf und überspielt diese später auf Tonträger. Was passiert nun akustisch, wenn z.B. eine CD mit dieser Aufnahme im heimischen Wohnzimmer wiedergegeben wird? Die Antwort ist eigentlich einfach: Die aufgezeichneten akustischen Informationen des Originalschauplatzes werden von den akustischen Eigenschaften des Raumes zuhause überlagert.
Aus dem technischen Blickwinkel der Akustik bedeutet dies, dass die Zeitstruktur des Originalschauplatzes von der Struktur des Wohnraumes verändert wird, es also zu einer „Überblendung“ zweier akustischer Raumeigenschaften kommt. Probleme entstehen dadurch, dass die originalen Informationen eigentlich bereits alle relevanten akustischen Parameter enthalten „sollten“, um das Klanggeschehen realistisch wieder entstehen zu lassen. Da der Wiedergaberaum aber in seiner Geometrie und seinen akustischen Bedingungen ein Eigenleben besitzt, werden die ursprünglich festgehaltenen Klangeigenschaften erheblich beeinträchtigt. Ein wesentlicher Aspekt resultiert daraus, dass der spätere Wiedergaberaum in der Regel erheblich kleiner ist als der originale Schauplatz.
Man könnte jetzt durchaus zu dem Schluss gelangen, dass es ausreicht, die akustischen Eigenschaften des Wiedergaberaumes zu beseitigen, um eine optimale Reproduktion zu erreichen. Dies funktioniert aber leider in dieser Form nicht, da die Übertragungstrecke von der Aufnahme selbst bis zur Wiedergabe in der Regel nur einen Teil der komplexen akustischen Eigenschaften des originalen Raums festhalten und reproduzieren kann. So ist beispielsweise eine klassische Stereokonfiguration prinzipbedingt nicht in der Lage eine vollständige Wiederherstellung des akustischen Originals durchzuführen, was nicht bedeuten soll, dass auf diese Weise nicht klanglich hochwertige Ergebnisse erzielt werden können.