Im Rahmen der HighEnd hatte ich die Gelegenheit, mit Lyravox Entwickler und Mitinhaber Jens Wietschorke ein Interview zu führen. Bei seiner spannenden und detailreichen Schilderung kam die Antwort auf meine Frage oft viel später, so dass ich mich entschloss, diese wegzulassen und den Text nur zu bearbeiten und mit Fotos zu ergänzen.
Wolfgang Kemper: Wie hat es bei Euch angefangen? Warum seid ihr genau diesen Weg gegangen, den ihr jetzt seit Jahren beschreitet?
Jens Wietschorke: Götz ( von Laffert ) und ich haben die Firma gegründet mit der Idee: Klang ist Kultur. Unser Anspruch war, die Musik für Menschen wieder dahin zu bringen, wo sie hingehört, nämlich in den Lebensmittelpunkt. Wir denken, dass Musik eine unglaublich schöne Beschäftigung im Alltag ist und nur dann wirklich funktioniert, wenn sie auch gelebt werden kann. Dazu braucht es Verschiedenes. Wir brauchen ein Design für die Produkte, was dazu führt, dass die Leute es gerne um sich haben. Wir machen keine Designprodukte, aber wir wissen, dass das Design ein notwendiges Mittel ist, damit man eine HiFi Anlage als solitäres Möbel in der Wohnung stehen haben mag. Denn nur wenn das Spaß macht, dann kommt der zweite, noch wichtigere Schritt. Nur dann hat man auch Lust, Musik in der Lebensumgebung zu hören. Es ist ja quasi eine Binsenweisheit, dass man natürlich eine hohe Wiedergabe-Qualität braucht, die sowohl leise als auch laut funktioniert.
W.K.: Ich bin angetan von eurem Bestreben, jeden Lyravox Lautsprecher beim Kunden zu Hause optimal zu integrieren, auf den Hörplatz technisch einzumessen und nach Gehör zusätzlich eine musikalische Feinabstimmung zu machen. Damit habt ihr ein Konzept, was nahezu einzigartig ist.
J.W.: An der Stelle haben wir uns wirklich sehr viele Gedanken gemacht. Wie bauen wir ein Produkt so, dass es nicht im Raum des Herstellers toll klingt und nicht nur dann funktioniert, wenn es optimal mitten im Raum platziert ist und die gesamte Einrichtung oder der gesamte Lebensraum sich der Anlage unterordnen muss? Unsere Maxime ist, dass die Anlage sich der Lebenssituation der Menschen anpassen und dort optimal funktionieren muss, weil nur mit der richtigen Performance der Mensch auch die Musik als solches erfährt. Es reicht also nicht, alle Töne zu hören, sondern wir müssen die Zwischeninformationen der Musik, die es ja gibt, genau wie beim guten Buch, transportieren. Das gute Buch hat genauso viele Umlaute wie das schlechte Buch, aber eben mehr Informationen zwischen den Zeilen. Nur dann wird Musik involvierend, dann kriegt man Zugang zur eigentlichen Seele der Musik. Und das ist das, was wir erreichen wollen. Man will emotional abgeholt werden, wenn man Musik hört und und dazu braucht es eben diese vollumfängliche Befriedigung der Sinne. Wir müssen also eine hohe akustische Qualität liefern und diese so verpacken, dass alles zusammenpasst. Es ist wie bei der Sterne-Küche: Natürlich muss das Essen super lecker sein, aber es nützt nichts, wenn es auf den Teller nicht auch appetitlich angerichtet ist.
W.K.: Ein wesentlicher Bestandteil der Lyravox Technologie ist der DSP, der in jedem Eurer aktiven Lautsprecher genutzt wird.
J.W.: Genau. Neben dem gestalterischen Aspekt, der sich ja erkennbar beim Bauhaus, das seit über 100 Jahren modern ist, bedient und so ein nachhaltiges Design darstellt, was uns auch wichtig ist, gibt es Verbesserungen am Produkt und in Sachen Klangqualität, an denen alle Kunden durch Updates partizipieren können und das möglicherweise sogar kostenfrei. Aber eine spannende Frage ist ja: Was machen wir eigentlich, um diese Qualität ins Wohnzimmer zu bringen? Und da gibt es zwei Wege, die wir verfolgen. Der erste Weg ist, dass unser Produkt klangtechnisch so designt und gebaut ist, dass es viele Probleme des typischen Hörraumes gar nicht erst anregt. Das heißt, unsere Form folgt der Funktion, auch wenn man das am Anfang gar nicht denken mag. Denn diese breiten Gehäuse, die relativ flach sind und eher segmentierte Gehäuse, die so in Quadern oder Kuben übereinander stehen, mit leichten Schlitzen dazwischen, sorgen dafür, dass wir ein sehr hohes Maß an Direktschall zum Hörer treiben, ohne frühzeitige Beugung. So ist die erste Wellenfront, die den Hörer erreicht, relativ unverfärbt und kommt sauber an. Das ist für das menschliche Gehör extrem wichtig, weil dies Feininformationen und vor allen Dingen auch räumliche Informationen transportiert, die das menschliche Ohr sehr wohlwollend wahrnimmt, wenn sie richtig beim Hörer ankommen. Wir haben uns gesagt, ein Lautsprecher steht ja nicht im schalltoten Raum, wo er gemessen wird. Und er steht auch nicht im Tonstudio, wo er völlig neutral für sich arbeiten kann, sondern er steht in einem Lebensraum. Kein Mensch will in einem Tonstudio wohnen, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen, möchte aber trotzdem diese Qualität hören. Die breite Schallwand ist ein Argument, wo wir sagen, so finden wir das richtig, wohl wissend, dass diese Breite natürlich auch Probleme mit sich bringt. Aber das Gute ist ja immer, wenn man ein Problem kennt, kann man das angehen und aus der Not eine Tugend machen und die Probleme an einer anderen Stelle kompensieren, was wir zum Beispiel durch einen additiven Hochtöner auf der Deckelseite lösen. Das heißt, wir machen sehr viel Direktschall zum Hörer und kümmern uns dezidiert um die Anregung des Raumes, indem wir einen Ambient Hochtöner in die Oberseite des Gehäuses einsetzen, der nichts anderes zu tun hat, als ein ganz gezieltes Diffusfeld im Raum aufzubauen, was dazu führt, dass das, was der durchschnittliche Hörraum zu wenig hat, nämlich diffuses Schallfeld, generiert.
Durch viele Reflexionen dieses abstrahlenden Hochtöners nach oben wird die Rauminformation für das Gehörempfinden des Menschen verbessert. Man hat das Gefühl, die Musik lebt im Raum, weil die Hochton-Energie durch die Reflexion so verzögert beim Ohr ankommt, dass das Ohr Direktschall und Diffusschall voneinander unterscheiden kann. Und das ist genau das, was in Konzerthallen, bei Live-Erlebnissen in Wirklichkeit auch passiert. Wir haben ein Direkt-Schallfeld und wir haben einen Diffusschallfeld, was aus der Reaktion des Raumes kommt. Und nur wenn wir beides gleichermaßen sinnvoll anregen, haben wir zu Hause auch ein Echtheitsgefühl. Wir finden, dass die meisten Hersteller sich um das Problem viel zu wenig kümmern. Es werden überwiegend Lautsprecher gebaut, die nach vorne ganz toll klingen. Und jetzt lade ich mal jeden Kunden ein, er möge sich doch hinter seinen Lautsprecher stellen und sich das mal anhören. Oder, wenn er nicht faul ist, den Lautsprecher mal umdrehen, ihn gegen die Wand spielen lassen, im wahrsten Sinne des Wortes, und sich das Desaster mal anhören. Und jeder Kunde wird mir Recht geben: Das klingt wirklich leidlich schlecht. Unsere Lautsprecher klingen auch nach hinten, ich will nicht sagen gut, aber richtig, weil sie einen stetig fallenden Frequenzgang haben, ohne große Einbrüche. Und das ist wichtig, weil das Schallfeld des Lautsprechers nach hinten ja gegen die Wand geworfen wird und trotzdem wieder zum Hörer kommt. Also kann es ja nicht egal sein, wie der Lautsprecher nach hinten klingt.
J.W.: Wir testen unsere eigenen Produkte zu Hause, leben mit unseren Produkten. Wir wohnen in der Firma, wir haben das Ganze rund um die Uhr um uns. Und das ist so eine Sache. Ein Produkt ist was anderes, wenn man es für einen Kunden entwickelt. Das macht man sowieso. Aber wenn man auch damit lebt, macht man Erfahrungen mit dem Lautsprecher, die man nicht unbedingt dann macht, wenn man um 18:00 Uhr die Entwicklungsabteilung abschließt und nach Hause geht.
W.K.: Da liegt mir natürlich die Frage auf der Zunge: Wie regelst du das? Bist du verheiratet? Hast du Kinder?
J.W.: Nein. Ich habe irgendwann mal entschieden, keine Kinder zu haben. Das darf man ruhig mal so sagen. Das ist alles gut. Alles hat gut funktioniert und ich war damit wirklich nie unzufrieden. Aber irgendwann bin ich an einen Punkt gekommen, wo ich gesagt habe So, jetzt hätte ich noch mal Bock auf eine richtige Aufgabe. Okay, und da ich jetzt keine Kinder ins Leben gebracht hatte, die viel Aufmerksamkeit erfordert hätten, habe ich gedacht: So, statt Kind ziehe ich jetzt eine Firma groß. Das war so die wilde Idee. Götz und ich haben uns da gefunden und hatten diese gemeinschaftliche Leidenschaft und so einen gemeinschaftlichen Ansatz, wo wir uns gesagt haben, das finden wir so lohnenswert, das müssten wir eigentlich machen. Wir haben uns ein bisschen ausprobiert und ein paar Tests gestartet und dann festgestellt: Wir glauben, wir ziehen an einem Strang, wir machen da was draus und haben dann vor ziemlich genau zehn Jahren die Firma Lyravox gegründet, mit eben dem Anspruch, den ich vorhin formuliert habe.