In der Reihe der ATR Mastercut Recordings erschienen dann in den folgenden Jahren die audiophilen Klassiker Jazz at the Pawnshop, Cantate Domino und Antiphone Blues sowie Gregorio Paniaguas La Folia, Raul de Souzas Sweet Lucy und Kate Bushs Lionheart. Auch Esther erfreute sich andauernder Beliebtheit und wurde immer wieder nachgepresst – allerdings in einer im Pegel reduzierten Variante mit deutlich zurückhaltenderen und daher angenehmeren S-Lauten. Bei mir geriet die Scheibe jedoch zunehmend in Vergessenheit. Das änderte sich dann erst Mitte 2021, als meine Gattin und mich auf der Rückfahrt von Salzburg ein Anruf von Peter Mühlmeyer erreichte. Er berichtete, dass eine weitere geplante Auflage von Esther unmöglich geworden sei, da das Presswerk die eingelagerten Pressstempel entsorgt hätte. Das ist leider durchaus Usus, wenn innerhalb von zwei Jahren keine Nachpressung erfolgt. Glücklicherweise hatte Peter Mühlmeyer aber noch die Mastertapes, konnte jedoch nicht sagen, in welchem Zustand sie sich befinden. Die Bitte, sie einmal anzuhören, konnte ich nur abschlägig bescheiden, da ich befürchtete, die alten Bänder dabei zu ruinieren.
Also boten wir an, mit den Bändern nach Wien zu fahren und zusammen mit Mastering-Spezialist Christoph Stickel eine schonende Überspielung zu wagen. Da der Versand der Bänder eine gewisses Risiko birgt – man stelle sich nur vor, dass das Paket neben einem andern mit Lautsprechern zu liegen kommt –, vereinbarten wir, die Bänder beim Interview von Leif Johannsen in ATRs Showroom, der Villa Belvedere in Eltville, zu übergeben. Im Oktober bereiteten wir dann bei cs mastering eine Überspielung vor. Die Bänder waren, wie es zur Vermeidung von Vorechos sein soll, „Tail Out“ gelagert und wiesen keine optischen Auffälligkeiten auf. Deshalb spulte Christoph Stickel das Band für die erste Seite der LP auf der Studer A820 vorsichtig zurück. Eine frisch auf das Leerband eingemessene A810 stand für die Aufnahme bereit. Die Überspielung ließ sich auch während der ersten beiden Titel sehr gut an, wie das Umschalten zwischen Aufnahme und Original zeigte: Es waren so gut wie keine Unterschiede zu hören. Bei dritten Titel rief meine Gattin dann plötzlich „Stop“: Sie hatte als erste gehört, dass der Ton deutlich dumpfer geworden war. Ein Blick neben den Tonkopf der A820 machte schnell klar, warum. Hier lag ein kleines Häufchen Bandabrieb. Magnetpartikel hatten sich von der Trägerfolie getrennt.
Grund dafür dürfte Feuchtigkeit sein, der das Band bei seiner Lagerung ausgesetzt war. Beim Tail-Out-gelagerten Band ist der Teil mit den ersten Titel sehr stramm aufgewickelt, gegen Ende wird die Wicklung dann aber immer lockerer, so dass hier Feuchtigkeit aus der Luft auf das Band einwirken kann. Kein Wunder also, dass das Abspielen der ersten Songs recht stressfrei für Band und Zuhörer war. Nur aber war Christoph Stickels Expertise gefragt. Während wir unsere Lieblingsstadt unverrichteter Dinge verließen, „backte“ er die Bänder einige Tage lang. Die genaue Dauer, die Temperatur und die dazu benutzte Gerätschaft sind ein wohl gehütetes Geheimnis, nicht aber der Effekt der Aktion: Die Feuchtigkeit entweicht, der Kleber zwischen Magnetpartikeln und Trägerfolie zieht wieder an, und das Band ist mindestens einmal ohne Beschädigung abzuspielen. Diesmal hatte Christoph Stickel nicht nur wieder die A820, die das Band am schonendsten transportiert, und die A810 für die Überspielung vorbereitet, sondern noch im Zehntel-Dezibel-Bereich tonale Beeinflussungen vorgenommen. Da er natürlich genau weiß, wie sich der Klang des Originals bei der Überspielung zwischen seinen Studers ändert, hat er von vornherein gegengesteuert. Ende 2021 hatte wir dann also wieder ein „frisches“, genau so wie das Original klingendes Band für die Überspielung.
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