Was passiert, wenn eine Firma wie Ayon Audio einmal alle Register zieht und die Techniker von der Leine lässt? Den Controller mitsamt Rotstift in den Urlaub schickt? So geschehen bei der neuen Spheris III Vorstufe. Zumindest hat es den Anschein. Ich werde aber den Teufel tun und gleich alles verraten
Wir haben hier zwei ausgewachsene Geräte vor uns stehen, das eine enthält die Stromversorgung, das andere die eigentliche Vorstufe. Zusammen geschmeidige 43 Kilogramm und eine Breite von 50 Zentimetern, die im Rack untergebracht werden müssen. Das ist kein verzauberter Vollverstärker, sondern eine Linestufe! Die Gehäuse haben die typische Ayon-Form, schwarz eloxiert mit abgerundeten Ecken und verchromten Einstellknöpfen. Neben Lautstärke- und Eingangswahl gibt es auch einen Balanceregler, schon fast eine Rarität heutzutage!
Wie der Name schon vermuten lässt, handelt es sich hier um die dritte Inkarnation. Bevor es jetzt aber philosophisch wird und außerdem die Neugierde überwiegt, hören wir uns das Gerät doch einfach erst einmal an. Quick and dirty, sozusagen. Dazu habe ich Chet Baker und Gerry Mulligans Carnegiehall Concert ausgewählt. Westcoast Jazz der 50-er Jahre vom Allerfeinsten! Allerdings hier in einer etwas aufgebretzelten Besetzung mit Gitarre, Vibraphon und Klavier. Ungewöhnlich, denn ein Klavier würde den Sound nur verwässern, so sagte Mulligan einmal. Ganz zu schweigen von einer Gitarre. Der weiche, lyrische Ton von Bakers Trompete – damals hatte er ja noch alle Zähne – bei „My funny Valentine“ ist über die Spheris III reine Gänsehautmusik. Sofern man eine Gans ist. Nur Trompete und Bass, wie verloren in der vergleichsweise riesigen Carnegiehall, das Publikum ist mucksmäuschenstill. Toll, wie diese wohl einmalige Stimmung über den Ayon rüberkommt. Wenn das kein guter Anfang ist, oder anders gedacht: Eigentlich habe ich nichts anderes erwartet. Wobei gesagt werden muss, dass das Gerät erst einen halben Tag Aufwärmphase auf dem Buckel hat und man in diesem Stadium eigentlich überhaupt nichts schreiben sollte. Aber die Neugier eben...
Üblicherweise werden bei den Röhrenvorstufen zur Verstärkung europäische Typen der ECC... Familie eingesetzt. Das ist eine kostengünstige Lösung, zumal hier meistens Produkte aus China oder sonst woher eingesetzt werden. Das kam für Ayon natürlich nicht in Frage, deshalb hat man sich für eine „deutsche Behördenröhre“ aus den 50-er Jahren entschieden. Eingesetzt wird eine NOS C3m Pentode, die von Siemens und Lorenz für den Fernmeldebetrieb konstruiert worden war und exklusiv für die deutsche Post hergestellt wurde. Wenn man sich eine Preisliste aus dem Jahre 1992 ansieht, so schlug diese mit 274 Mark zu Buche, war also eher für professionelle Zwecke gedacht. Die Röhren sind übrigens einzeln nummeriert, erkennbar an der gelben Banderole. Diese Pentode – hier als Triode geschaltet – wurde von Ayon bereits in den Vorgängermodellen eingesetzt und hat sich hervorragend bewährt. Eines ihrer Merkmale ist die hohe Zuverlässigkeit und Lebensdauer. Sie wurde unter anderem zur Verstärkung in Relaisstationen für Tiefseeunterwasserkabel eingesetzt und da wäre eine Fehlfunktion in 4000m Tiefe nicht so gut angekommen. Die Forderungen an so eine Röhre waren deshalb: hohe Verstärkung, kein Rauschen, keine Verzerrungen, lange Lebensdauer und geringe Größe. Ungewöhnlich auch die hohe Heizspannung von 20 Volt. Alles zusammen kein Pappenstiel! Siemens hatte für diese Röhre mindestens 10.000 Betriebstunden garantiert. Wenn man also jeden Tag zwei Stunden Musik hört, dann dauert das Vergnügen 13 Jahre.
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